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Viermal Herrenhaarschnitt

Männer und ihr Friseur – eine schwierige Beziehung? Aber nein. Auch Mann lässt nun gerne schneiden. Vier Bekenntnisse

VON MARTIN REICHERT

Von wegen: Frauen rennen ständig zum Friseur, auch Männer haben längst eine gesunde Anspruchshaltung in Bezug auf ihr Haupthaar entwickelt, so sie denn noch welches ihr Eigen nennen.

Milan Illic, 54, Berliner Promi-Friseur, hat seinen Salon vor rund 20 Jahren eröffnet und damals „genau den Nerv getroffen“, vorbei die Zeiten des sachlich-schlichten Herrenhaarschnitts, durchgeführt, als sei man in der Kaserne oder befände sich auf einem Behördengang, Hauptsache, unprätentiös: „Es gab immer schon Männer, die eine gewisse Anspruchshaltung an ihre Körperpflege hatten, aber das bezog sich nur auf die höheren Schichten. Mittlerweile ist das Mainstream“, sagt Illic.

In Europa ist zwar immer noch üblich, dass Frauen aufwändigere Frisuren als Männer tragen, ein Herrenhaarschnitt ist dementsprechend im Schnitt 30 bis 35 Prozent preiswerter, aber die Herren investieren ebenso in Kosmetik und teure Pflegeprodukte. Benehmen sich Männer anders, wenn sie auf dem Friseurstuhl sitzen? „Männer wollen in der Regel schneller bedient werden, was jedoch nicht bedeutet, dass sie auf ein Verwöhnritual verzichten wollen“ sagt Illic. Ein kurzes, sinnliches Vergnügen, für das man bezahlt hat, auf das man ein Recht hat, ganz ohne Verpflichtung. Und vor allem: bitte ohne Gequatsche.

Während traditionelle arabische oder türkische Barbier-Salons manchmal wie eine autonome Männerselbstfindungsgruppe wirken – man ist ganz unter sich –, sitzen in den hippen Salons der großstädtischen Innenbezirke Männlein und Weiblein nebeneinander und lesen Klatschmagazine, vorbei die Trennung in Herren- und Damenabteilung. Geblieben ist jedoch die Herrenfrisur: Seit dem 20. Jahrhundert trägt der Mann die Haare meist kurz, variiert durch Koteletten- und Bartwuchs. War schon in den 50er-Jahren die narzisstische Tolle beliebt, ging ab 1963 die Tendenz, inspiriert von den Beatles, zunächst zum etwas längeren Schnitt, später uferte das Ganze in das Model Matte aus. Erst in den Achtzigerjahren setzte sich der Kurzhaarschnitt wieder durch, verdrängte allmählich Vokuhila und Minipli, gefolgt von den farbigen Strähnen, Gel- und Wachsorgien der Neunziger, die bis heute dominieren. Die Endlosschleife der Jahrtausendwende: Derzeit ganz vorn ist die „Retro-Popper-Frisur“. Total verboten dagegen: der Iro.

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