: Nur Lobbyisten im Zentrum
EINFLUSS Weil die Immobilienverwaltung des Bundes neu bauen möchte, müssen mehrere NGOs ihre Büros im Regierungsviertel räumen. Sie befürchten, durch den Verlust der Nähe zur Politik auch an Einfluss zu verlieren
TIM KÖHLER, NGOLER
VON UWE RADA
Wenn Michael Meyer-Resende aus seinem Büro schaut, hat er die Spree vor Augen und Länder wie Ägypten oder Tunesien im Sinn. Seit 2011 hat der Geschäftsführer der Nichtregierungsorganisation Democracy Reporting seinen Sitz am Schiffbauerdamm 15. Auf der gegenüberliegenden Seite der Spree steht das Bundespresseamt, die Büros der Abgeordneten sind ein paar Minuten entfernt. „Für uns als NGO ist das der ideale Standort“, sagt Meyer-Resende. „Leider müssen wir ihn demnächst verlassen.“
Binnen zweier Jahre hat sich der Plattenbau aus DDR-Zeiten am Schiffbauerdamm 15 zum Berliner NGO-Haus gemausert; der Briefkasten vor dem Haus ist ein Who’s who internationaler Hilfsorganisationen. Christian Schwarz-Schilling, ehemals Hoher Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina, hat dort seine NGO Verein für internationale Mediation untergebracht, die es sich zum Ziel gesetzt hat, in innerethnischen Konflikten zu vermitteln. Auch Germanwatch hat seine Büros hier.
Doch nächstes Jahr will die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima), die Immobilienverwaltung des Bundes, das Gebäude abreißen. „Der Abbruch ist im zweiten Quartal 2014 geplant“, kündigte der Sprecher der Bima, Thorsten Grützner, an. Statt der NGOs sollen dann unter anderem Bundestagsabgeordnete in neue Büros einziehen. Auch Wohnungen und Geschäfte sollen entstehen.
„Wir wollen der Bima nicht vorwerfen, dass sie uns hinters Licht geführt hat“, sagt Meyer-Resende von Democracy Reporting. „Man hat uns gesagt, dass es diese Pläne gab. Aber dass es so schnell gehen wird, haben wir nicht gedacht.“ Bis März 2014 sollen seine zehn Mitarbeiter ihre Büros verlassen. Meyer-Resende fürchtet nun um den Einfluss der Nichtregierungsorganisationen. „Wenn die NGOs aus dem Stadtzentrum gedrängt werden, wird die Arbeit schwieriger.“
Auch Tim Köhler weiß die Lage des Hauses zu schützen. „Wenn wir Gäste empfangen, ist die Adresse ein großes Plus“, sagt er. Seine Organisation kümmert sich allerdings eher um die Oder oder die Donau als um die Spree: Köhler ist Schatzmeister des Instituts für angewandte Geschichte, eine Gründung von Studierenden der Europa-Universität Viadrina, die längst zum Aushängeschild der deutsch-polnischen Projekteszene geworden ist. Für die Stiftung Erinnerung, Verantwortung Zukunft organisierte das Institut die Geschichtswerkstatt Europa, ein Bildungsprogramm in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, bei dem nationale Perspektiven überwunden werden sollten.
Nun muss auch die Exstudenten-NGO ihre Berliner Dependance verlassen. „Für das Geld finden wir im Zentrum nichts mehr“, sagt Köhler. 110 Euro für das kleine Büro zahlt das Institut. Auch Democracy Reporting freut sich über die günstige Miete. „Wir zahlen 7,83 Euro für den Quadratmeter, inklusive Heizung und Nebenkosten“, sagt Michael Meyer-Resende.
Für die Bima sind die NGOs hingegen nur Zwischenmieter. Bereits 2009 hatte das Land Berlin einen Ideenwettbewerb für den sogenannten Luisenblock-Ost ausgeschrieben. Für das „städtebaulich bedeutsame Quartier im Parlaments- und Regierungsviertel“, hieß es, solle eine „der Lage und Funktion angemessene Neuordnung der Bebauung, der Erschließung und der Freiflächen“ entwickelt werden.
Der Plattenbau, in dem vor der Wende das DDR-Umweltministerium untergebracht war, muss also weg. An seine Stelle soll ein geschwungener, moderner Neubau entstehen – als Fortsetzung des Bandes des Bundes, das mit dem Erweiterungsbau des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses bereits über die Spree rückte. Stehen bleiben sollen nur die Gebäude von RTL und der Humboldt-Universität sowie das Gründerzeithaus mit dem Café Zimt und Zucker.
Bereits im Dezember vergangenen Jahres hat die grüne Bundestagsabgeordnete Lisa Paus die Rolle der Bima in einer kleinen Anfrage unter die Lupe genommen. Die Antwort: 5.000 Wohnungen allein in Berlin besitzt die Bima, darüber hinaus eine stattliche Anzahl von Gewerberäumen. Paus forderte damals, die Gebäude, wenn überhaupt, an „nachhaltig wirtschaftende Wohnungsgesellschaften, Genossenschaften oder Mieter“ zu verkaufen.
Auch Cornelia Brinkmann hat das NGO-Haus schätzen gelernt. „Ich wurde vom Büro von Schwarz-Schilling auf den Schiffbauerdamm aufmerksam gemacht“, sagt die Leiterin der Kolfliktvermeidungsorganisation Steps for peace. Anfang 2011 stand das ganze Gebäude leer, dann zog die NGO von Schwarz-Schilling ein, plötzlich kamen viele Organisationen nach. Eine richtige Aufbruchstimmung sei das gewesen, sagt Brinkmann, deren Organisation unter anderem in Afghanistan Antikonflikttrainings anbietet. Sie fordert, wie die anderen auch, dass sich die Bima um ein Ersatzgrundstück kümmert: „Es kann nicht sein, dass die Lobbyisten im Zentrum bleiben und die NGOs an den Stadtrand müssen.“
Doch für die Bima stehen die Pläne bereits fest. Lediglich in Einzelfällen, sagte Sprecher Grützner, werde geprüft, ob die Bundesanstalt Ersatzmietflächen aus ihrem Bestand anbieten könne.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen