: Lektionen in Anmut
Was als Benefiz-Konzert für ihren Freund Dax Pierson gedacht war, entwickelte sich im Postbahnhof zum herzrührenden Indietronic-Abend: The Notwist sind als schluffrockende Band über jede Mode erhaben und immer noch eine Klasse für sich
VON DAVID DENK
Wegen Dax Pierson war wohl keiner da, dabei war es sein Abend – zumindest stand der Name des Produzenten und Keyboarders von Alternative-HipHop-Formationen wie Subtle und Themselves auf den Eintrittskarten, von denen es mal wieder zu wenige gab. Das lag jedoch ganz eindeutig an The Notwist, die das Benefizkonzert zugunsten ihres Freundes Pierson organisiert hatten und auch das Line-up anführten. Der Initiator des gemeinsamen 13&God-Projekts ist seit einem schweren Autounfall im Februar 2005 von der Brust an abwärts gelähmt. Notwist-Sänger Markus Acher nennt Pierson „den nettesten Menschen auf diesem Planeten“ – Ehrensache also, dass sie für ihn Geld sammeln, um wenigstens seine finanziellen Probleme zu lösen.
Der Weilheimer Korpsgeist reicht also mittlerweile bis nach Amerika. Was als Nachbarschaftshilfe unter Musikern in der oberbayerischen Provinz begann und zu immer neuen, meist inzestuösen Bandgründungen führte, hat die Indieszene in den vergangenen Jahren so stark geprägt, dass das britische Musikmagazin Wire angesichts solch geballter Kreativität 1998 fragte: „Is Weilheim the new Seattle?“
Seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte der Weilheim-Hype Anfang 2002 mit der Veröffentlichung von „Neon Golden“, dem Über-Album von The Notwist, ihrem fünften seit ihrer Gründung als Punkband 1989. In über einem Jahr Studioarbeit waren sich die Frickeleien von Martin „Console“ Gretschmann, seit 1997 dabei, und die Instrumente der anderen Bandmitglieder und Gastmusiker so nahe gekommen wie nie zuvor. Digital und analog hatten geheiratet. Ihr erstes Kind hieß „Neon Golden“ – und hatte von beiden Elternteilen nur das Beste geerbt.
So war es nur folgerichtig, dass die Songs von „Neon Golden“, jeder davon großartig traurig, das Benefiz-Set im Kesselhaus der Kulturbrauerei dominierten. Dass kein einziger Track fehlte, spricht für die Güte der Platte und verzückte das Publikum: „Pilot“, „Pick Up The Phone“ oder „One With The Freaks“ und, als einsamer Höhepunkt und letzte Zugabe, „Consequence“ – ein Wiedersehen mit alten Freunden, die sich seit dem letzten Treffen zwar weiterentwickelt haben, aber zum Glück unterm Strich die Alten geblieben sind.
Die Abwesenheit einer Bühnenshow und der sehr reduzierte Einsatz der in der Szene so beliebten Visuals rückte die Musik in den Mittelpunkt. Markus Achers angeraute Gesangsstimme erfüllte den Raum und – kitschig, aber wahr: die Herzen. Dazu wiegte sein Bruder Micha am Bass rhythmisch Oberkörper und Pottschnitt vor und zurück – keine Pose, sondern ein tranceartiger Tanz, der in seiner unverstellten Anmut an eine Szene aus Valeska Grisebachs Berlinale-Beitrag „Sehnsucht“ erinnerte, in der der Protagonist weltvergessen mit sich selbst tanzt – zu „Feel“ von Robbie Williams.
Und hier enden die Parallelen auch schon wieder, denn The Notwist, das ist eben auch konsequente Absage an Glamour. Bühnengarderobe? Fehlanzeige. The Notwist schlurfen so auf die Bühne, wie der Winterschlussverkauf sie geschaffen hat. In dieser optischen Schwäche liegt ihre musikalische Stärke. Nur unbeeindruckt von Moden kann Zeitloses entstehen, Textzeilen wie „Fail with consequence, lose with eloquence and smile“, an die man sich noch Jahre nach dem ersten Hören erinnert. Haltung geht eben nicht mit der Zeit.
Vor The Notwist spielten übrigens „88:komaflesh“ und „Jersey“. Man könnte jetzt mäkeln, dass ihr tumber Testosteron-HipHop mit diffus-religiösen deutschen Texten nervte und dass die anderen am besten waren, wenn der Sänger nicht gesungen hat – doch das wäre unfair. Im direkten Vergleich mit The Notwist kann man nämlich nur verlieren. Und im direkten Vergleich mit sich selbst? Dass es für The Notwist auch eine Bürde ist, eine Klasse für sich zu sein, zeigt die Tatsache, dass die Band die Veröffentlichung ihres neuen Albums vom Frühjahr in den Sommer verschoben hat.
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