VAMPIRE AM ARBEITSPLATZ: Die Rothaarige
Gestern stand die Chefin zwei Zentimeter neben mir. Eine ungewohnte Nähe. Aber das hatte nichts mit mir zu tun. Sie war aufgeregt. Das spürte ich sofort. Sie zitterte. Da war was, was ihre Gestaltungskraft überstieg, gegen das sie – die gegen alles ein Rezept hatte – kein Rezept hatte.
Wir wurden in ihr Büro bestellt: „Kolleginnen und Kollegen, es gibt eine Frau, die von sich behauptet, hier zu arbeiten – und sie quartiert sich in Hotels und Pensionen im Umkreis ein – und hinterlässt Rechnungen auf unsre Kosten“, sagte die Chefin und versicherte: „Aber diese Frau gehört nicht zu uns.“
„Wie sieht sie aus?“, wollte die Volontärin willfährig wissen. Die Chefin zuckte mit den Schultern. Sie hatte die virtuelle Mitarbeiterin nie gesehen. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Vergangene Woche saß eine mir unbekannte Frau in der Außenhandelsabteilung. Die Frau – kurze rote Haare – saß an dem eigentlich für die Katalognutzung vorgesehenen Rechner, blickte auf und fragte mich: „Sie kennen sich doch aus? Können Sie mir helfen, meinen Projektentwurf auf dem Server zu sichern?“
Derart geschmeichelt, blieb mir nichts anderes, als den Technik-Nerd zu markieren: „Aber klar“, befleißigte ich mich zu sagen und öffnete alle Sicherheitsschranken. Die Chefin schlug auf den Tisch: „Und das Schlimmste: die Pseudomitarbeiterin hat den gesamten Server formatiert. Sie war im Büro, doch niemand hat sie gesehen!“
Ich zuckte zusammen: „Hat sie kurze rote Haare“, fragte ich? Die Chefin: „Ja, das wird berichtet.“ „Uhhh!“, ich schüttelte mich unwillkürlich: „Liefern Sie mich bitte sofort ein“, flehte ich die Chefin an, „ich habe den Vampir gesehen, er saß direkt neben mir und ließ sich instruieren, wie er alle Daten von gestern, heute und morgen in den Orkus zu schicken habe …“ Die Chefin verzog das Gesicht: „Keine Scherze an dieser Stelle! Die Sache ist ernst.“ TIMO BERGER
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