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Aus Opfer wird Täter

DUBAI Emir begnadigt eine vergewaltigte Norwegerin, die zuvor wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs verurteilt worden war

AUS STOCKHOLM REINHARD WOLFF

„Sie sind sich ganz sicher, dass Sie deshalb die Polizei einschalten wollen?“ Das Personal in der Hotelrezeption zweifelte und empfahl Marte Deborah Dalelv, sich diesen Anruf noch einmal zu überlegen. Doch, Dalelv wollte das Telefonat: „Da wo ich herkomme, ist es eine natürliche Reaktion, die Polizei zu rufen, wenn man vergewaltigt worden ist.“

Die Zweifel des Rezeptionisten in ihrem Hotel in Dubai verstand die 24-jährige norwegische Geschäftsfrau zwei Stunden später besser. Ein Polizeibeamter hatte sie als Erstes gefragt, ob sie die Vergewaltigungsanzeige nicht etwa nur deshalb mache, „weil es ihnen nicht gefallen hat“. Danach wurde sie selbst festgenommen, ihr Pass wurde eingezogen und einige Wochen später Anklage gegen sie erhoben. Am Dienstag vergangener Woche war Dalelv dann zu einer Haftstrafe von 16 Monaten wegen sittenwidrigen Verhaltens durch außerehelichen Geschlechtsverkehr, illegalen Alkoholkonsum und Falschaussage verurteilt worden.

Sie muss die Strafe nicht antreten. Nachdem sich die Regierung in Oslo einschaltete und Tausende gegen das Urteil protestierten, reagierte man dort schnell und begnadigte Dalelv am Montag. Sie erhielt ihren Pass zurück und wollte Dubai „so schnell wie möglich“ verlassen.

„Ich hoffe das kann als ein Weckruf dienen, was die Zustände in den Rechtssystemen eines großen Teils der Welt, darunter in den Vereinigten Emiraten, angeht“, erklärte Norwegens Außenminister Espen Barth Eide in Oslo. Gleichzeitig lobte er „die zuständigen Stellen“ in Dubai. Die Begnadigung sei vom Emir von Dubai persönlich ergangen.

Man habe Dubai „sehr konkret“ auf „spezifische Verpflichtungen“ hingewiesen, die sich aus den internationalen Menschenrechtskonventionen ergeben, berichtete Eide: „Außerdem habe ich an unsere engen ökonomischen Beziehungen erinnert.“ Zugleich bedankte sich der Außenminister für den großen internationalen Druck.

Dalelv, die sich am Montag „sehr, sehr glücklich“ zeigte, hatte ihren Fall wenige Tage zuvor selbst öffentlich gemacht. Nach eigenem Bekunden „kein leichter Entschluss“, zu dem sie sich aber durchgerungen habe, um auf die Gefahren aufmerksam zu machen, die Frauen, die sich geschäftlich oder als Touristen in Ländern wie Dubai aufhalten, drohen könnten.

Die Designerin, die im Auftrag einer Möbelfirma unterwegs war, hatte sich Anfang März an einem Ausflug mit einigen KollegInnen beteiligt, bei dem auch Alkohol konsumiert wurde. Um drei Uhr morgens, wieder in ihrem Hotel, habe sie einen Kollegen gebeten, sie bis zu ihrem Zimmer zu begleiten. Von diesem sei sie vergewaltigt worden. Nach der Anzeige habe man sie selbst vier Tage in einer Zelle festgehalten.

Ein Angestellter ihrer Firma habe ihr geraten, die Vergewaltigungsvorwürfe zurückzunehmen, dann „löse sich der Fall schneller“. „Da wollte ich keinen Prozess, ich wollte nur nach Hause, deshalb folgte ich dem Rat“, berichtete Dalelv gegenüber Gulf News: „Der größte Fehler meines Lebens.“ Vor Gericht nahm sie diese Aussage wieder zurück und wiederholte die Vergewaltigungsvorwürfe. Da der Mann leugnete, wurde ihr nicht geglaubt. Das Urteil: zwölf Monate Haft für außerehelichen Geschlechtsverkehr, drei Monate für Falschaussage und einen Monat für Alkoholkonsum.

Mit zwölf plus einem Monat für Geschlechtsverkehr und Alkohol war auch der Vergewaltiger bestraft worden. Auch er wurde am Montag begnadigt. „Uns wurde gesagt, das sei in solchen Fällen normale Praxis in Dubai“, erklärte Åse Elin Bjerke, Norwegens Botschafterin in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

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