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Verschwinden mit Charme

Vielfalt der Abstürze: Jeden Monat laufen in Berlin gleich vier oder fünf neue Theaterstücke an,die das neoliberale Subjekt auf dem Weg der Anpassung und der Selbstzerstörung begleiten

Da ist Projektemacherin Minze, die alle Energie in ihre Hülle steckt und sich für ihr leeres Inneres hasst

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Sportgymnastik, Fitnesstraining. Es geht nicht mehr ohne. In jedem zweiten Theaterstück mindestens stopft das rhythmische Schwitzen dieser Tage die Lücken im Sinn. An den äußeren Konturen des Körpers zu arbeiten scheint oft der letzte Weg aus der Eigenschaftslosigkeit, mit der der Neoliberalismus die Subjekte bedroht. Und auch dramaturgisch werden so dort Energiefelder aufgebaut, wo sich sonst alles im Wegrutschen befindet.

Angst vor der eigenen Schwammigkeit, Angst vor dem Verlust des Rest-Ich, Angst vor dem sozialen Absturz: Sie ist das letzte Movens, das die Menschen umtreibt in den neuen Stücken von Gesine Danckwart, Kathrin Röggla und Marc Becker, die im Gorki-Theater und im Theater unterm Dach zu sehen sind. Weitere Protokolle des Niedergangs sind angekündigt: Für die Sophiensæle hat Ingo Niermann Gespräche mit gescheiterten Unternehmern zu „Minusversionen“ verarbeitet, und der Theaterdiscounter zieht mit „Club der Enttäuschten“ von Felicia Zeller in die Welt einer Beschäftigungsmaßnahme. Das Theater kümmert sich, ehrlich. Und den Theaterbesucher beschleicht immer öfter die Versuchung, sich später noch einen völlig realitätsfernen Actionfilm reinzuziehen.

Ereignisarmut im eigenen Leben und die Kompensation durch zu hohe Dosierung der Erregungspotenziale in Horrorfilmen und Horrornachrichten, das ist auch genau eines der Probleme von Nadja in Marc Beckers Stück „Weltuntergänge“, das im Theater unterm Dach als klaustrophobisches Kammerspiel von Stephan Thiel inszeniert wurde. Nadja (Nadja Petri) hat mit ihrem Leben noch gar nicht angefangen aus Angst vor allem, was geschehen könnte. Sie verlässt die Wohnung nicht mehr und lebt von Erdnussflips, die sich ihrem einzigen Besucher, Andi, gleich dick an die Socken heften. Die Enge und den Ekel, die pubertären Chiffren der Angst vor dem Leben, transportiert die durchweg von jungen Leuten getragene Produktion am besten.

Im zweiten Teil des Abends spielen Nadja Petri und Mehmet Yilmaz wieder ein Paar, das aber komplementär zum ersten angelegt ist: Diesmal wollen sie Hedonisten und Gewinner mimen, mit sportlich schön geformten Körpern, die den Gedanken, jemals mit dem Elend unter ihnen in Verbindung zu kommen, nicht ertragen. Allein, das ist eine kopflastige Konstruktion, und die Übersetzung in glaubhafte Figuren bleibt auf halber Strecke stehen, über die allein das flotte Tempo der Inszenierung hinweghilft.

Glaubhafte Figuren, glaubhafte Geschichten: In den Stücken von Danckwart und Röggla ist es eben einer der tragischen Effekte des Lebens, dass die Beteiligten selbst den Glauben an sich als Figur und an eine eigene Geschichte verloren haben. Die Autorinnen verabschieden sich ja nicht aus modernistischer Destruktionslust von den traditionellen Elementen des Dramas wie Handlung, Akteinteilung, Katharsis; sondern weil in diesen Strukturen die Befindlichkeiten der Auflösung, auf die es ihnen ankommt, nicht zu erzählen sind.

Statt Figuren treten zunehmend Stimmen auf, konzertante Echos von Meinungen ohne klare Positionen. Rollen, Subjekte, Individuen, Darsteller: Sie alle werden zu schwachen Reflexen eines großen Rauschens voller öffentlicher Depression und niederdrückender Neuigkeiten.

Für Kathrin Rögglas Stück „Draussen tobt die Dunkelziffer“ hat der Regisseur Stephan Müller deshalb auf eine chorische und kabarettistische Form gesetzt. Eine Sammlung von so genannten Kreditunfällen, von Fallgeschichten, wie man sich verschulden kann, wird zur Nummernrevue. Es gibt Momente zynischer Zuspitzung, etwa wenn der Wunsch einer Rentnerin, zwei Sorten Obst einzukaufen, wie ein Fall mittelschwerer Sucht im verlogenen Ton des Mitleidens geschildert wird. Oder wenn als größter Witz die Geschichte einer Sozialhilfefamilie kursiert, die keine Ahnung hatte, dass ihre 4.000 Euro Schulden beim Stromlieferanten auf die Lust am Baden zurückgingen.

Irgendwie lacht man da dauernd mit den Falschen. Zudem weist das Stück alle Schuld den Kreditgebern, Werbern und Verführern zu und ihrer Anstachelung zum Konsum – das ist zwar nahe liegend, aber auch kurzsichtig, stecken die doch in der gleichen Falle.

Besser gelungen ist im Gorki-Studio „Und morgen steh ich auf“, das die Autorin Gesine Danckwart inszeniert hat. Sie macht uns mit vier Schwundfiguren der Identität bekannt, die allesamt die Gründe für Selbstverlust und Weltverlust in den ökonomischen Voraussetzungen ihrer Existenz nachweisen können. Da ist die Projektemacherin Minze (Maril Jana Supka), die sich verausgabt in den Werbemaßnahmen für ihr Selbst, alle Energie in die Hülle steckt und sich selbst für die Entleerung ihres Inneren hasst. Mindestens ebenso hasst sie Reve (Normann Schenk), mit dem sie gelegentlich um die Geschwindigkeit der Laufbahn konkurriert. Er lebt, was sie nur simuliert, das Aufgehen in der Arbeit. Gefühle, Privatleben, Liebe aber sind ihm zu Fremdworten geworden, die schmerzhafte, durch keine Dienstleistungen zu füllende Leerstellen hinterlassen haben. Beide schieben sie den ständig neue Outfits probierenden Niemann (Ole Lagerpusch) beiseite, der sich täglich von neuem an der Hoffnung auf ein Praktikum aufrichtet. Seine Sätze ernteten im Publikum die meister Lacher des Wiedererkennens. Und richtig ans Herz wuchs einem Dröge (Stephan Lohse), der sich ins Nichts zurückzunehmen mit großem Charme antrainiert hat.

Man sieht diesen vier bei der anstrengenden Arbeit der Erschaffung ihres Selbst zu, bei mehr nicht. Zu mehr reicht ihre Energie nicht, was sie als Mangel fühlen und thematisieren. Zu mehr aber kann sich auch das Stück nicht aufraffen – Mangel an Eigentlichem, das ist die Botschaft, die sich schließlich wie Hunger ausbreitet.

Erstaunlich ist dann aber rückblickend auf drei Theaterabende: So viel soziale Befunde, so viel Beobachtung der Verelendung in den Stücken steckt, von Widerstand, Auflehnung, Revolution ist nirgendwo die Rede. Nur von Druck, Anpassung und Selbsthass. Und von einem Attentat, der Gewalt ohne Ziel, die sich nicht als Protest versteht, sondern als Krönung der eigenen Unabhängigkeit.

Weltuntergänge, Theater unterm Dach, 9.–12. 3., 20 Uhr. „Draussen tobt die Dunkelziffer“, Gorki-Theater, 11., 16. + 30. März, 19.30 Uhr. „Und morgen steh ich auf“, Gorki-Studio, 18., 28. + 30. März, 20 Uhr

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