: Zweite Auflage beim Atomkonsens
Nach dem „grünen Licht“ für ein Atommülllager im Schacht Konrad strebt Umweltminister Sigmar Gabriel jetzt eine Vereinbarung mit der Industrie für ein Entsorgungskonzept an
VON HANNES KOCH UND JÜRGEN VOGES
Auch eine klare Ansage kann tausend neue Fragen auslösen. Eindeutig entschied gestern das Oberverwaltungsgericht Lüneburg, dass das Atomendlager Schacht Konrad in Salzgitter gebaut werden darf. Die Richter urteilten, die Atommüllkippe im Bergwerk sei notwendig und ausreichend sicher. Sie wiesen damit die Klagen der Kommunen Salzgitter, Vechelde, Lengede und der Landwirtsfamilie Traube gegen das geplante Lager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle in allen Punkten ab.
Nach Einschätzung von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) ist das seit Jahrzehnten hart umkämpfte Atomlager Schacht Konrad damit „sehr wahrscheinlich“ geworden – grundsätzlich. Über wichtige Details wie die Menge des Mülls und die Kosten will der Minister aber in den kommenden Monaten einen „Konsens“ mit den Betreibern der Atomkraftwerke erreichen.
Dieser Konsens, von dem Gabriel gestern erstmals sprach, könnte sich am ersten Atomkonsens orientieren, den die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2000 mit den Energiekonzernen abschloss. Ging es damals um die Abschaltung der Kraftwerke, will Gabriel nun bis zum Sommer ein Konzept für die Endlagerung allen Atommülls in Deutschland präsentieren.
Zum Endlagerkonzept gehören Fragen im Zusammenhang mit Schacht Konrad. Welche Müllmengen unter anderem aus dem Abbau von Atomkraftwerken fallen überhaupt noch an – die vor 20 Jahren kalkulierten 600.000 Kubikmeter oder nur noch maximal 200.000 Kubikmeter? Und was kostet das? Wollen sich die Atomkonzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW bis zu 20.000 Euro pro Kubikmeter Lagerkosten leisten, oder geht es anders vielleicht billiger? Ohne sich im Einzelnen dazu zu äußern, begrüßte das Deutsche Atomforum, die Vertretung der Konzerne, gestern das Konrad-Urteil.
Darüber hinaus würde der zweite Atomkonsens à la Gabriel noch ein ungleich heikleres Problem beinhalten. Deutschland fehlt ein Lager für das eigentlich gefährliche Erbe der Atomwirtschaft – die verbrauchten Brennelemente und die anderen stark strahlenden Innereien der Kraftwerke. Der einzig mögliche Platz ist bisher der Salzstock unter dem Ort Gorleben in Ostniedersachsen, wo allerdings auch die Anti-AKW-Bewegung der 1970er- und 1980er-Jahre überlebt hat. Während sich die früheren CDU-FDP-Bundesregierungen mehr oder weniger aus dem Bauch heraus für Schacht Konrad und Gorleben entschieden hatten, will Gabriel nun eine gesetzlich und juristisch abgesicherte Suche nach dem besten Endlager für hochradioaktive Abfälle durchführen lassen. Dabei kann wieder Gorleben herauskommen – oder auch ein anderer Ort. Mit der Energiewirtschaft will Gabriel auch darüber sprechen, ob nach der Gerichtsentscheidung zu Konrad das rot-grüne Konzept des „einen Endlagers“ für alle Müllsorten noch aufrechtzuerhalten ist oder man zum Konzept mehrerer Lager zurückkehren muss.
Bevor alle diese Fragen geklärt seien, werde der unterbrochene Ausbau von Schacht Konrad jedenfalls nicht wieder aufgenommen, sagte Gabriel. Damit, dass das Urteil rechtkräftig wird, rechnet er „in dieser Legislaturperiode“. Aus heutiger Sicht könne im Schacht Konrad frühestens in „fünf bis sechs Jahren“ weitergebaut werden.
Dass es für den Ausbau des Schachts grünes Licht gibt, dafür hatten die Lüneburger Richter mit einer Abfuhr für die Kläger auf ganzer Linie gesorgt. Die Klagen der Stadt Salzgitter und der Nachbargemeinden Lengede und Vechelde stufte der Senatsvorsitzende Wolfgang Kalz als unzulässig ein. Eine Gemeinde könne nicht stellvertretend für ihre Bürger klagen. Und die Planungshoheit der klagenden Kommunen oder ihr Eigentum werde durch die 2002 erteilte Endlagergenehmigung nicht berührt. Etwas besser kam die Familie Traube aus Salzgitter-Bleckenstedt davon, die in der Nähe des Geländes der ausgedienten Eisenerzgrube ihren Bauernhof hat. Walter Traube und sein Sohn Gerhard hätten zumindest Umstände und Anhaltspunkte angeführt, dass ihr Eigentum oder ihre Rechte durch das Endlager beeinträchtigt sein könnten. Ihre Klage sei aber dennoch unbegründet. Nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts würden bei der Einlagerung des Atommülls im Schacht Konrad die Grenzwerte der Strahlenschutzverordnung eingehalten. Und einen Bedarf für das Endlager gebe es, stellte das Gericht mit Blick auf die vorhandenen und zu erwartenden Abfallmengen fest.
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