: Tim gegen Kim
AUS SEOUL MARCO KAUFFMANN
Ein fahl beleuchteter Durchgang zweigt vom Bürgersteig ab, zu einem Lokal, das bei Tageslicht Kunst ausstellt. Einmal wöchentlich wird die Galerie am Stadtrand von Seoul zum Treffpunkt der Nordkorea-Aktivisten. „Katakomben-Meeting“ nennt es Tim Peters, reformierter Missionar mit US-Pass und Begründer des Hilfswerks „Helping Hands Korea“.
„Man hat mich soeben aus China angerufen: Die Aktion läuft“, erzählt Peters einem Mann im Kamelhaarmantel und mit Goldbrille. Das Stimmengewirr verstummt. Man will die Neuigkeiten aus dem chinesisch-nordkoreanischen Grenzgebiet nicht versäumen. Peters, ein stattlicher Mann in Bluejeans und wild gemustertem Wollpullover, berichtet von einer Versorgungsaktion für Nordkoreaner in China. Lebensmittel und Medikamente für Flüchtlinge, die sich im Nordosten Chinas vor der Polizei verstecken. Werden diese Leute aufgegriffen, droht ihnen die Abschiebung nach Nordkorea. Auf Republikflucht steht in Kim Jong-Ils Hungerstaat Arbeitslager, manchmal auch die Todesstrafe.
Fluchthelfer Peters organisiert auch heimliche Transporte nach Südkorea, über Drittländer wie Vietnam, Thailand, die Mongolei. Wo nötig, werden Grenzbeamte und Polizei bestochen. Die meisten seiner Helfer sind südkoreanische Christen, meist Protestanten, oder Buddhisten. Diesen beiden Glaubensgemeinschaften gehören die Hälfte aller Südkoreanerinnen und Südkoreaner an.
Auf kleinen Plastikhockern sitzen die 20 Katakombenbesucher im Kreis zusammen. Die meisten in Mantel und Jacke, es ist kühl im Raum. Teils sind sie Stammgäste, teils Durchreisende, die für eine Aktion in der Stadt sind. Heißer Tee wird gereicht. „Lasst uns beginnen“, ruft Pastor Peters. Eine Engländerin berichtet, sie wolle in Großbritannien eine Gebetswoche für Nordkorea auf die Beine stellen. Südkoreanische Studenten informieren über eine Veranstaltung an ihrer Universität zu Nordkoreas Menschenrechtslage. Jeder stellt seine Projekte vor, von Pfarrer Peters mit einem überschwänglichen „wunderbar!“ gewürdigt.
Der Stargast des Abends ist der Mann im Kamelhaarmantel. Er heißt Michael Horowitz, ehemals Spitzenbeamter unter US-Präsident Ronald Reagan, heute Stratege beim Hudson-Institut, einer streng konservativen Denkfabrik in Washington. „Obwohl Jude“, leitet Pastor Peters ein, „kämpft er gegen die Christenverfolgung und für die Befreiung Nordkoreas.“
Horowitz hat einen klaren Zeitplan: „Ich werde hart arbeiten, um noch in diesem Jahr ein Ende von Kim Jong-Ils Regime herbeizuführen. Dieser Verrückte in Pjöngjang muss weg.“ Jeder Tag, an dem der Diktator an der Macht sei, spüre er Blut an den Händen. „Als hätte ich zu wenig für dieses Ziel gegeben.“ Eine christliche Zeitschrift in den USA kürte Horowitz 1997 zu den zehn einflussreichsten Kämpfern für die christliche Sache – neben Mutter Teresa und dem amerikanischen TV-Prediger Billy Graham. Horowitz nimmt die christlichen Aktivisten ins Gebet: „Wenn es darauf ankommt, wird gebetet und geglaubt, man sei damit aus dem Schneider.“ Der 67-Jährige verlangt Action: Keine militärische, aber massiven politischen Druck gegenüber China, das nordkoreanische Flüchtlinge deportiere und damit internationale Verträge verletze. „China muss sich entscheiden: entweder Kim Jong-Il stützen und die Flüchtlinge zurückschaffen oder Handel mit den USA.“
Lenkt China nicht ein, schweben Horowitz Sanktionen für Chinas zehn wichtigste Exportprodukte vor. Um die Senatoren in Washington auf die Spur zu bringen, will Horowitz eine kunterbunte politische Koalition zusammentrommeln: „Linke, Rechte, Christen, Juden.“ An der Spitze sollen die 3.800 koreanischen Kirchengemeinden in den USA marschieren.
Horowitz, ein feuriger Redner mit Abschluss der Eliteuniversität Yale, zog bereits die Fäden beim amerikanischen Menschenrechtsgesetz für Nordkorea. Der 2004 verabschiedete Erlass soll es nordkoreanischen Flüchtlingen erlauben, in den USA Asyl zu bekommen. Die Vereinigten Staaten ernannten zudem einen Sonderbeauftragten für Menschenrechte in Nordkorea. „Jay Lefkowitz hat Zugang zum Präsidenten“, streut Horowitz ein.
Den Katakombengängern wird warm. Auch Horowitz zieht seinen Mantel aus. In seinem Maßanzug und mit den Manschettenknöpfen mit Schachbrettmuster gestikuliert er, wippt gefährlich auf seinem roten Plastikhocker, fixiert die Zuhörer mit seinen blauen Augen. „Wie glaubwürdig ist Washington in dieser Rolle – nach Abu Ghraib, Guantánamo, illegalen CIA-Gefangenentransporten?“, fragt einer aus der Runde. „Macht unser Engagement für Nordkorea schwieriger“, gibt Horowitz zu. „Aber: Warten wir mal, bis die Welt zu sehen bekommt, was in Nordkorea wirklich abgeht.“ Er spielt auf Berichte an, wonach in Kim Jong-Ils Diktatur Konzentrationslager existierten, Insassen zu biologischen Experimenten missbraucht würden und sich politische Gefangene im Gulag zu Tode schufteten: „Als Jude habe ich hier eine spezielle Verantwortung.“ Horowitz pflegt enge Kontakte mit konservativen Kreisen in Südkorea, wirbt aber auch bei der linksliberalen Regierungspartei für einen härteren Kurs gegenüber Nordkorea.
Seine Leidenschaft für Nordkorea entdeckte Horowitz, als er erstmals Norbert Vollertsen im Fernsehen sah – der bunteste Vogel unter den Nordkorea-Aktivisten. Eingepackt in seine dicke Goretex-Jacke und in Bergschuhen mit roten Schnürsenkeln sitzt er in den Katakomben von Seoul in der hinteren Ecke. Sonst zieht er die Frontlinie vor. Der „wahnwitzige deutsche Doktor“, wie ihn Horowitz liebevoll nennt, arbeitete einst als Arzt in Göttingen, später als Entwicklungshelfer in Nordkorea und spendete ein Stück Haut seines Oberschenkels einem Mann mit schweren Verbrennungen. Nordkoreas Propaganda jubelte und ehrte den Doktor mit höchsten Orden. Ein Jahr später wies ihn das Regime aus. Er habe die Missachtung elementarster Menschenrechte angeprangert, sagt der Arzt zu den Gründen: „Ich sah einen Soldaten mit eindeutigen Folterspuren im Straßengraben liegen.“ Nun arbeitet er im Süden auf den Systemwechsel in Nordkorea hin.
Vollertsen schleuste in Peking nordkoreanische Flüchtlinge in westliche Botschaften – bis ihm China die Einreise verweigerte. Südkoreas Regierung, die Nordkorea nicht wegen Menschenrechtsproblemen vergraulen will, warf den unberechenbaren Aktivisten ebenfalls aus dem Land. Irgendwie hat er es dennoch nach Seoul zurückgeschafft. Von dort aus organisiert er Demonstrationen vor der chinesischen Botschaft, steht gewandt vor Kameras von BBC und CNN, jettet nach Washington, wo er vor einem Senatsausschuss aussagt, oder reist in die texanische Wüste, um bei christlichen Rockkonzerten über die medizinische Versorgung in Nordkorea zu sprechen.
Die fünf Jahre Anti-Nordkorea-Kampf haben ihre Spuren hinterlassen: „Ich glaube nichts mehr“, sagt Doktor Vollertsen. Er habe US-Gruppierungen getroffen, die sich offiziell für Nordkoreas Menschenrechte stark machten, und stellte dann fest, dass in deren Vorständen Vertreter von Rüstungsfirmen sitzen. „Die schielen auf eine Aufrüstung in Asien, ihr Engagement ist nicht glaubhaft.“ Vollertsen hat sich zwar auf Nordkorea eingeschossen, will aber gleichzeitig „die rechten Heinis“ in den USA nicht schonen. Er bezeichnet sich als Atheisten, mobilisiert aber auch im religiösen Milieu und erduldet still, wenn Pastor Peters zum Gebet für „unseren Freund Norbert“ anhebt. Das gemeinsame Ziel, Kim Jong-Il aus dem Sattel zu werfen, verlange einen Mix von Strategien – und: „Ohne US-imperialistisches Rambazamba geht es nicht.“
Auf dem Katakomben-Treffen setzt Gastgeber Tim Peters jetzt zum Schlussgebet an: „Für alle, die 150 Kilometer nördlich von hier hungern, frieren, auf der Flucht sind.“ Die Engländerin, die eine Gebetswoche organisieren will, übernimmt: „Mögen die Nordkoreaner spirituell durstig sein. Wir beten dafür.“ Die Vorbeter wechseln in rascher Folge, steigern sich. Ein ekstatisches „Amen“ beschließt die Gebetsstafette.
Nach zwei Stunden hat sich die Gruppe aufgelöst. Die Teilnehmer verschwinden in der Dunkelheit. Nächste Woche sehen sich die Stammgäste und neue Durchreisende wieder – vereint im Kampf gegen Kim Jong-Il.
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