Front der Drogenkrieger bröckelt

PROHIBITION Die repressive Drogenpolitik hat in Amerika verheerende Folgen – immer mehr Länder denken jetzt über neue Wege nach

BERLIN taz | Seit ein paar Jahren nimmt die Debatte um eine neue Drogenpolitik an Fahrt auf, nicht nur, aber insbesondere in Lateinamerika. Der Vorstoß Uruguays zur staatlich kontrollierten, legalen Abgabe von Cannabis dürfte ihr erneuten Schwung verleihen.

Seit der 1961 verabschiedeten UN-Drogenkonvention setzt weltweite Drogenpolitik auf Prohibition und Strafverfolgung. Die Folgen sind verheerend: Der Konsum ist beständig angestiegen, die Gewinne der organisierten Kriminalität auch. Militarisierte Ansätze des Anti-Drogen-Kampfes, wie sie ab 2006 der mexikanische Präsident Felipe Calderón begonnen hat, haben zu Blutbädern ungeahnten Ausmaßes geführt – mehr als 60.000 Menschen sind seither allein in Mexiko getötet worden. Auch in den zentralamerikanischen Ländern, darunter insbesondere Guatemala und El Salvador, haben die Kartelle Einfluss gewonnen. Die Folge: geschwächte und korrumpierte staatliche Institutionen, alltägliche Gewalterfahrungen und eine Zivilgesellschaft, die sich im Kampf um Einfluss und Routen oft zwischen den Fronten findet.

2011 riefen die Vereinten Nationen die „Global Commission on Drug Policy“ ins Leben. Ihr gehörten neben dem ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan, dem früheren Nato-Generalsekretär Javier Solana und anderen auch die Expräsidenten Brasiliens, Kolumbiens und Mexikos an. Sie propagierten deutliche Veränderungen der Drogenpolitik – vor allem, so die erste Forderung, sollte sie auf „soliden empirischen und wissenschaftlichen Belegen beruhen“. Und: „Maßstab für den Erfolg sollte die Minderung des Schadens für die Gesundheit, die Sicherheit und das Wohl der einzelnen Menschen und der Gemeinschaft sein.“ Das war deutlich.

In der Folge schlossen sich weitere prominente Stimmen der Forderung nach Veränderung und einem Ende des „Kriegs gegen die Drogen“ an, etwa Guatemalas Präsident Otto Pérez Molina, der sich für Entkriminalisierung und Regulierung aussprach – eine für einen rechten Exmilitär bemerkenswerte Position. Doch wo immer der Versuch gemacht wurde, internationalen oder regionalen Konsens zu erzielen, bleibt den Befürwortern einer neuen Drogenpolitik bislang der Erfolg verwehrt, zuletzt beim Gipfel der Organisation Amerikanischer Staaten Anfang Juni. Zwar hatte auch eine von der OAS eingesetzte Expertenkommission für einen entkriminalisierenden Neuanfang geworben, doch darüber war keinerlei Einigung zu erzielen. Einige Regierungen, so etwa die des Sandinisten Daniel Ortega in Nicaragua, lehnten jede Art von Legalisierung vehement ab, und auch die US-Regierung will davon nichts wissen.

Allerdings stellt sich „das Drogenproblem“ in unterschiedlichen Ländern auch anders dar. Während in nahezu allen lateinamerikanischen Metropolen mit größerer Mittelschicht längst auch der Konsum ein Thema ist, von Cannabis bis Pasta Base, einem Abfallprodukt der Kokainherstellung, so gilt das wirtschaftliche Interesse der Kartelle nach wie vor dem Schmuggel der Drogen zum größten Konsumentenland des Kontinents, den USA. Und so ist in Expertenkreisen die Debatte längst über die Entkriminalisierung von Cannabis hinausgegangen. Gerade aus Lateinamerika kommt immer stärker die Forderung nach Entkriminalisierung und Regulierung des gesamten Drogenmarktes, auch etwa von Kokain, von der Produktion bis zur Abgabe an den Endverbraucher. Nur dann wären die wirtschaftlichen Interessen der Kartelle empfindlich zu treffen.

Verschwinden würden sie trotzdem nicht. Längst haben sie ihre Geschäftsfelder diversifiziert: Menschenhandel, Erpressung, Schutzgelder, Geldwäsche gehören dazu. Das aber, so meinen die Befürworter eines neuen Ansatzes der Drogenpolitik, könne kein Grund sein, eine gescheiterte Politik weiter fortzusetzen.BERND PICKERT