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Saubermann muss Federn lassen

Die Popularität des türkischen Premierministers sinkt drastisch. Tayyip Erdogan muss sich wie sein Finanzminister gegen Korruptionsvorwürfe wehren. In der Folge bleiben dringend notwendige innenpolitische Reformen auf der Strecke

AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

Nach drei Jahren im Amt befindet sich der türkische Premier Tayyip Erdogan das erste Mal in einer echten Popularitätskrise. Während er jahrelang mit guten Wirtschaftsdaten und der erfolgreichen Annäherung an die Europäische Union punkten konnte, drohen seine bisherigen Erfolgsthemen nun auf ihn zurückzufallen.

Zwar wächst die türkische Wirtschaft seit drei Jahren um acht Prozent und innerhalb der Mittelschichten wird auch teilweise wieder gut verdient, doch bei den armen Bauern und den in die Städte geströmten Hilfsarbeitern vom Land kommt davon kaum etwas an. Auch die Erwartungen seiner religiösen Klientel konnte Erdogan bislang nur teilweise erfüllen. Zwar wächst der Einfluss religiösen Denkens, doch in der höchst symbolischen Kopftuchfrage ist Erdogans AKP-Regierung nicht weitergekommen. Nach wie vor ist das Kopftuch in öffentlichen Einrichtungen tabu.

Besonders geschadet hat Erdogan aber, dass mittlerweile seine weiße Weste als ehrlicher Mensch viele Flecken aufweist. Seine AKP wurde gewählt, weil die Leute daran geglaubt hatten, dass die neue Partei die Ausplünderung der öffentlichen Kassen beenden würde – jetzt hat sie ihre Unschuld verloren. Dafür steht ausgerechnet Finanzminister Kemal Unakitan. Seit Wochen versucht die Opposition ihn durch Misstrauensanträge zu Fall zu bringen, fast täglich veröffentlichen die Zeitungen neue Indizien für dunkle Machenschaften. Zuerst ging es um seine illegal errichtete Villa, dann um Verordnungen aus dem Finanzministerium, die ganz zufällig Unternehmen, die seinen Kindern gehören, begünstigen. Zuletzt drehte es sich um die Vergabe eines Großauftrags für den Bau eines neuen Terminals für Kreuzfahrtschiffe in Istanbul, bei dem anscheinend illegale Gelder geflossen sind – die Auftragsvergabe entsprach jedenfalls nicht den gesetzlichen Kriterien. Ministerpräsident Tayyip Erdogan hat sich kategorisch hinter seinen Finanzminister gestellt.

Als selbst Abgeordnete aus den eigenen Reihen den Rücktritt Unakitans forderten, ging Erdogan in die Offensive und beschuldigte die Medien, den Aufruhr im Sold seiner politischen Gegner zu schüren. Dass Erdogan Unakitan so rückhaltlos unterstützt, schürt den Verdacht, dass er selbst in einige Fälle verwickelt sein könnte. So hat Erdogan die mittlerweile von einem Gericht gestoppte Auftragsvergabe für den Bau und Betrieb des Kreuzfahrtterminals am Rande des Wirtschaftsgipfels in Davos persönlich betrieben und Unakitan nur die formale Abwicklung übertragen.

Die Opposition versucht nun, Erdogan selbst ins Zentrum der Kritik zu stellen. Erst kürzlich gelang es ihr, ihn so unter Druck zu setzen, dass er sich gezwungen sah, seine persönlichen Vermögensverhältnisse offen zu legen. Dabei stellte sich heraus, dass aus dem ehemals armen Tayyip Erdogan seit der Zeit als Istanbuler Oberbürgermeister Mitte der Neunzigerjahre, mittlerweile ein Dollarmillionär geworden ist.

Der Popularitätsverlust Erdogans trägt auch mit dazu bei, dass die innenpolitischen Reformen ins Stocken geraten. Wenn demnächst die im vergangenen Jahr beschlossenen Beitrittsverhandlungen zwischen Ankara und Brüssel beginnen, wird Erdogan wenig Neigung haben, unpopuläre EU-Forderungen, wie die Öffnung der türkischen Häfen für griechisch-zyprische Schiffe, durchzusetzen. Schließlich beginnt ab Mitte des Jahres bereits der Wahlkampf für die Präsidenten- und Parlamentswahlen 2007.

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