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Höhenflüge in Moskau

Der Berliner André Niklaus gewinnt bei der Leichtathletik-Hallen-WM die Goldmedailleim Siebenkampf. Dabei hatte er nur ein paar Fotos auf dem Roten Platz schießen wollen

AUS MOSKAU SUSANNE ROHLFING

Der Tscheche Roman Seberle, Weltrekordhalter im Zehnkampf, packte seine Stäbe wieder ein, und Weltmeister Bryan Clay aus den USA lümmelte schon seit einiger Zeit auf dem Boden herum, als André Niklaus zum ersten Mal über die Latte flog. Die Großen müssen zusehen, wie bei den Hallen-Weltmeisterschaften der Leichtathleten in Moskau ausgerechnet einem Athleten aus dem so wenig schillernden deutschen Team gelingt, was am Tag zuvor selbst der russische Superstar Jelena Isinbajewa nicht geschafft hat: Der smarte Mehrkämpfer aus Berlin entlockt den Zuschauern im 1980 erbauten Olympisky-Sportkomplex tatsächlich so etwas wie Begeisterung – und er wird Mehrkampf-Weltmeister in der Halle.

Seberle und Clay sind zu Tatenlosigkeit verdammt, als der 24-Jährige im Stabhochsprung eine gnadenlose Aufholjagd startet. Seine Einstiegshöhe, 5,00 Meter, bewältigt außer ihm keiner der Konkurrenten, und am Ende ist er mit übersprungenen 5,30 Metern vom sechsten auf den zweiten Platz vorgesprungen. Der abschließenden 1.000-Meter-Lauf wird für den Sportsoldaten daraufhin zum Sieglauf: Nach einem fulminanten Angriff auf der letzten Runde lässt Niklaus den führenden US-Amerikaner und den bis dahin drittplatzierten Tschechen hinter sich – allerdings setzt er seinen Sieg auf den letzten Metern noch aufs Spiel, als er schon mal vorsorglich die Arme jubelnd in die Luft reißt. „Das hätte auch in die Hose gehen können“, gibt er später zu. Doch der Berliner hat offenbar ein perfektes Timing im Blut: Er verbessert sich in der Gesamtabrechnung um 125 auf 6.192 Punkte und liegt damit 5 Zähler vor Clay (6.187 Pkt.). Seberle gewinnt mit 6.161 Punkten die Bronzemedaille.

Niklaus sichert sich den ersten ganz großen Triumph seiner Karriere und sorgt bei den Verantwortlichen des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV) für Erleichterung. Denn mit dem Scheitern von Kugelstoßer Ralf Bartels (Neubrandenburg) in der Qualifikation und dem fünften Platz von Hürdensprinterin Kirsten Bolm (Mannheim) waren die deutschen Medaillenträume an den ersten beiden Tagen der Titelkämpfe teilweise geplatzt. DLV-Chefcoach Jürgen Mallow mühte sich zwar in der ihm eigenen Art, trotzdem das Positive in den Vordergrund zu stellen: „Wir haben 11 von 16 Athleten unter den ersten acht, nur ein Viertel des Teams ist in der ersten Runde ausgeschieden, damit kann ich sehr gut leben“, sagte er. Aber weil es ja nun mal so sei, dass „die Welt nur auf Medaillen guckt“, war Mallow am Ende doch sehr froh, dass Niklaus den Deutschen einen Titel bescherte.

Im letzten Sommer bei der WM in Helsinki hatte der U23-Europameister von 2001 und 2003 die Konkurrenten und Verantwortlichen mit seiner Bestleistungsjagd noch überrascht. 8.316 Punkte und Platz vier brachten ihm freundschaftliche Gratulationen der Stars Seberle und Clay ein und entlockten Niklaus die Feststellung: „So eng waren wir noch nie, sonst war ich immer der Deutsche, der da rumturnt und ganz gut Stabhochspringen kann.“

Diesmal galt der Deutsche, der es sogar in die aktuelle Ausgabe von Park Avenue geschafft hat, von Beginn an als ernstzunehmender Konkurrent, auch wenn er sich selbst als Ziel lediglich „Bestleistung und ein Foto vom Roten Platz“ gesetzt hatte. Beides hat er bekommen. Und dazu Gold, einen Strauß Blumen und 40.000 US-Dollar Siegprämie.

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