: Geiz ist out
„Du sollst nicht sparen!“ So lautete das Gebot der Stunde an den Münchner Kammerspielen. Ein Wochenende mit Theaterproduktionen rund ums Geld
VON SABINE LEUCHT
„Orient“ steht auf der Schürze im Camouflage-Look, „Payola“ auf diesen merkwürdig hübschen Geldscheinen, mit denen man in den Münchner Kammerspielen zwei Tage lang bezahlen muss. Jürgen Kuttner will dort mit einer 100-prozentigen Erbschaftsteuer die Gemeinden entschulden und Émile Zolas Verschwender Saccard hält die Ausschweifung wie das Geld für den Dünger, „aus dem der Fortschritt der Menschheit hervorwächst“.
„Du sollst nicht sparen“, das Gebot der gesamten Spielzeit, stand auf der Fahne, die das Theater der bayerischen Landeshauptstadt zwei Tage lang gegen den „Geiz ist geil“-Zeitgeist und die blinde Kumpanei mit ihm schwenkte. 18 „Brandherde“ – Performances, Installationen und Diskussionen zur Themen-Trias Geld, Wert und Tausch – loderten überall in den Eingeweiden des Theaters auf. So verquer der Befehl zur Aufgabe eines Verzichts in seiner buchstäblichen Lesart anmutet, so emsig haben sich Frank Baumbauer und Crew um seine Einhaltung bemüht. Nicht nur finanziell vom „Siemens Arts Program“ unterstützt und mit leider fatalen Folgen für die Besucher, die fortwährend gezwungen waren, Verluste zu realisieren. Von den allein sieben Eigenproduktionen nach Motiven aus Zolas Roman „Das Geld“ habe ich am Ende nur drei gesehen. Vieles andere höchstens halb, mit einem Auge immer auf dem Ablaufplan.
In Chris Kondeks Börsenspiel „Dead Cat Bounce“ segnet ein Börsianer per Videokonserve die Kraft der Entscheidung. Life im Event-Overkill der „Brandherde“ unterwegs, wähnt man sich mitten in einem Tauglichkeitstest für diesen Job und zugleich in der Sackgasse: Wer nicht frühzeitig abspringt, den bestraft die verschlossene Tür; wer sich zu schnell verabschiedet, läuft Gefahr, den größten Gewinn zu verschenken. Am Ende nimmt jeder ein Portfolio voller Erfahrungen mit nach Hause und hat von der Gier gekostet, die das Geschäft belebt: Denn was immer man gesehen hat, der Markt hätte weit mehr hergegeben! Zum Beispiel im Töpfemeer der Kammerspiel-Farbküche, wo mein Erlebnis-Parcours begann: Dort hatte Regina Wenig ein Kochduell zwischen einem Araber und einem Deutschen angerichtet. Mit viel Lust an der Ironisierung von Klischees trugen hier Orient (Hammelhoden) und Okzident (Coq au vin) den Kampf der Kulturen mit Gewürzen an Tierkadavern aus. Das Publikum durfte kosten.
Gastdramaturg Ralf Fiedler hat aus Zolas langem Roman kurze Skizzen zum lockeren Aus-dem-Handgelenk-Spielen entwickelt, die mal mehr und mal weniger offenbar das Feld des Ökonomischen beackern. Offen zu legen, womit es uns nährt und wozu es uns nötigt, das war das Anliegen des aktuellen „Brandherde“-Projekts, das im vergangenen Jahr mit dem Glauben erstmals den Finger in ein glimmendes Thema legte: damals wie heute teils brillant, liebenswert chaotisch, Synergie erhoffend und mit letzten Erkenntnissen geizend.
Peter Kastenmüller zum Beispiel konfrontiert das gefräßige Kalkül des modernen Genuss-Kapitalisten mit dem geilen Zittern des Wucherers alter Schule. Chris Kondek lässt Stephan Bissmeier und Wiebke Puls in den Straßen des heutigen New York über „the art of money making“ parlieren. In der Hardware dieser Videoinstallation – so will es die durchaus sparsame Ökonomie des Einweg-Theaters – marschiert später auch Saccards „perverse Familie“ hinein.
Apropos Ökonomie: Jürgen Kuttner kann schon ob seines hibbeligen Naturells nicht anders, als sich zu verschwenden. Sparverbot-Gebot hin oder her. Rabih Mroué aus dem Libanon setzt als Erzähler nur einige charmante Augen- und Mundbewegungen an die Stelle der Show, und seine Rekonstruktion der wahren Geschichte vom „Missing Employee“ hält uns bei der Stange. Die halsbrecherische Zickzacklinie zwischen den angeblich mit ihm verschwundenen 3,5 bis 43 Millionen Libanesische Pfund, die ein Mitarbeiter, der Erzählung folgend, aufmalt und an die Wand projiziert, verweist auf den prinzipiell imaginären Charakter des Geldes nicht nur in Bürgerkriegszeiten.
Geld kann zumindest in der Vorstellung beliebig wachsen, schrumpfen und einem alles bedeuten. „Money, money, money“, singen die über 70-jährigen Bankräuber in Sandra Strunz’ „Vabanque“ gerade, als wir uns durch die Türe schleichen. Und als dann einer leise sagt: „Vielleicht sterben wir bald!“, plumpst man hart in die Eindeutigkeit der Realität zurück. Dass die Theaterwährung Payola internationale Leitwährung wird, dauert wohl noch etwas. Leider.
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