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Clash der Sehgewohnheiten

„Tal der Wölfe“ läuft hier nicht, dafür aber „Babam ve Oglum“ (Mein Vater und mein Sohn) und andere Blockbuster: Beim türkisch-deutschen Filmfestival in Nürnberg zeigen die türkischen Beiträge große Gefühle, die deutschen geben sich unterkühlt

VON DAVID DENK

Im Café des Nürnberger Filmhauses steht ein Samowar. Der Oberbürgermeister Ulrich Maly spricht ein paar begrüßende Worte auf Türkisch. Der Generalkonsul Mehmet Selim Kartal hält seine ganze Rede auf Deutsch, obwohl er es nicht besonders gut kann. Beide laden gemeinsam zum Stehempfang ein, auf dem Briefpapier stehen der türkische Halbmond und das Nürnberger Stadtwappen einträchtig nebeneinander, es gibt Frankenwein und türkische Häppchen – solche Gesten durchziehen das 11. Filmfestival Türkei/Deutschland in Nürnberg, das noch bis Sonntag dauert, wie ein roter Faden. Es ist ziemlich anstrengend.

Um die Schatten der Nazivergangenheit aus der Stadt zu vertreiben, hat Nürnberg sich den Beinamen „Stadt der Menschenrechte“ gegeben und gibt sich auch sonst große Mühe, alles richtig zu machen. Deswegen und weil jeder dritte Nürnberger seine Wurzeln außerhalb Deutschlands hat, wurde 1997 der Verein „InterForum Kunst und Kultur Nürnberg International“ gegründet, der das Filmfestival Türkei/Deutschland veranstaltet.

Doch das sind – man traut es sich angesichts der Kontroverse um „Tal der Wölfe“ kaum zu sagen – Nebenkriegsschauplätze. Seine stärksten Momente nämlich hat das Filmfestival, wenn es sich auf seine Kernkompetenz besinnt: Filme aus Deutschland und der Türkei zu zeigen – in diesem Jahr sind es 67. Der während offizieller Anlässe etwas penetrant beschworene interkulturelle Dialog entsteht so bei der Reflexion über Gemeinsamkeiten und Unterschiede wie von allein.

„Tal der Wölfe“ läuft nicht in Nürnberg, dafür der Blockbuster „Babam ve Oglum“ (Mein Vater und mein Sohn), den in der Türkei schon 3,5 Millionen Zuschauer gesehen haben und der in Nürnberg mit dem Publikumspreis gekrönt wurde. Dass die Herzschmerz-Familiensaga von Regisseur Çagan Irmak auch bei deutschen Kinogängern funktioniert – also zu Tränen rührt! –, ist keineswegs selbstverständlich. Türkische Filme tragen für den deutschen Geschmack häufig zu dick auf (und meinen das im Gegensatz zum indischen Bollywoodkino sogar völlig ernst) – ein Clash der Sehgewohnheiten.

Opfer dieses Zusammenpralls wurde „Sen Ne Dilersen“ (Was du dir auch wünschst). Der Debütfilm von Cem Bașeskioglu fand beim Nürnberger Publikum wenig Gnade. Sowohl Deutsche als auch Deutschtürken und die anwesenden türkischen Filmemachern waren sich in ihrer Ablehnung dieses hysterischen Bauerntheaterstücks einig: Gefühle, larger than life – es wird geweint und geschrien, geschrien und geweint – und am Ende natürlich alles wieder gut. Das schlägt einem vom westlichen Kino sozialisierten Publikum etwas auf den Magen.

Dagegen wirkten die deutschen Wettbewerbsbeiträge ziemlich unterkühlt, am meisten das in Nürnberg gedrehte Debüt von Kameramann Florian Hoffmeister („Paul is dead“, „One Day in Europe“), das auch noch so heißt: „3 Grad kälter“. Der Titel ist leider ähnlich prätentiös wie der ganze Film, der mehr um einen coolen Look bemüht ist als um seine Geschichte: Die Dialoge strotzen vor Tiefe suggerierenden Plattheiten, die Figuren bleiben Behauptung – der Zuschauer kommt einfach nicht an sie ran, versteht sie nicht. Dass „3 Grad kälter“ in Locarno einen Silbernen Leoparden gewonnen hat, spricht für den Trend zum Realismus im Film – auch wenn er in diesem Fall bloß ein Schatten seiner selbst ist, die schicke Hülle für ein großes Nichts.

Sabine Michels Spielfilmdebüt „Nimm dir dein Leben“ ist da ganz anders. Ein sehr schöner, weil sehr schräger Film über einen Jungen, der allein unter Alten in einem fiktiven Dorf in der Lausitz lebt und sich in eine junge Polin verliebt, die sich auf der Suche nach ihrem Freund nach „Dunkelhäuser“ verirrt. „Nimm dir dein Leben“ ist wohl am ehesten ein Heimatfilm, streift jedoch auch viele andere Genres – ohne dabei beliebig zu werden. Denn Sabine Michel hat eine sehr eigene künstlerische Vision, die sie stimmig umzusetzen weiß. Leider scheint dies gerade nicht in Mode zu sein.

Eine der wenigen echten Premieren des Festivals war „Auf nach Alanya – Neue Heimat Türkei“. Der Dokumentarfilm des türkischen Paares Gülseren Suzan und Jochen Menzel erzählt angenehm unaufgeregt vom Alltag deutscher Auswanderer an der türkischen Riviera – und den Grenzen des interkulturellen Dialogs. „Wenn wir in ein Geschäft gehen und die sprechen kein Deutsch, gehen wir wieder raus“, sagt ein Mann beim deutschen Bäcker. Man darf ein Filmfestival eben nicht mit der Wirklichkeit verwechseln.

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