: „Das Problem ist der Kuhhandel-Vertrag“
BAUSUBSTANZ 94 Prozent in einer Hamburger Gartenstadt stehen jetzt unter Denkmalschutz. Die restlichen müssen vielleicht demnächst Neubauten weichen
VON AMADEUS ULRICH
Ralph Ortmüller steht vor seinem Haus, das kein Denkmal ist. Dabei sind nur wenige Schritte entfernt Hunderte davon. „Ich verstehe das nicht“, sagt der Mann, der seit 50 Jahren in der Gartenstadt im Hamburger Stadtteil Berne wohnt. Doch sein Zuhause sei marode, heißt es, kaum zu renovieren. Ortmüller vermutet: „Man sagt uns nicht die Wahrheit.“ Sein Nachbar ruft übern Zaun: „Die wollen hier Geld scheffeln!“
Die, das ist der Vorstand der Genossenschaft Gartenstadt Hamburg. Hinter den beiden Männern liegt jener Teil der Siedlung, der derzeit die Gemüter erhitzt. Seit März dieses Jahres steht die Gartenstadtsiedlung in Hamburg-Berne unter Denkmalschutz. Allerdings nur zu 94 Prozent. Ausgenommen ist eine Dreiecksfläche zwischen dem Berner Heerweg und dem Meiendorfer Stieg. Dort stehen 15 Häuser.
Denkmalschutzamt und Genossenschaftsvorstand haben sich laut Vertrag so geeinigt: „Die Genossenschaft erkennt die Denkmaleigenschaft unwiderruflich an und verzichtet auf Rechtsmittel diesbezüglich.“ Heißt übersetzt: Ihr verklagt uns nicht, dafür lassen wir euch die sechs Prozent. Den Rest akzeptiert ihr als Denkmal.
Nun sind auf der besagten Dreiecksfläche theoretisch Abrisse und Neubauten möglich; vier Häuser stehen bereits leer. Auffällig ist, dass nur auf dieser Fläche der Gartenstadt zweistöckig gebaut werden kann. Vor zwei Jahren schon war im Gespräch, eines der Häuser abzureißen, weil es stark baufällig sei.
Dies stieß auf Kritik einiger Gartenstadt-Bewohner, die im April 2012 eine Initiative gründeten. „Ich habe Angst um unsere Siedlung“, sagt Henrike Windscheid. „Es könnte sein, dass an den Häusern nichts gemacht wird. Wir haben einen großen Sanierungsstau.“
Das Problem sei der „Kuhhandel-Vertrag“, sagt Initiativen-Mitglied Hans Köhler. „Er hebelt das Denkmalschutzgesetz aus.“ Rechtlich hätten dem Gesetz zufolge auch die Häuser auf der Dreiecksfläche geschützt werden sollen. Aber es gehe um „Mammon“, sagt Köhler. Denn auf der Fläche könnten 400 bis 800 Wohnungen entstehen.
Windscheid moniert überdies die fehlende Beteiligung innerhalb der Genossenschaft. Aufsichtsrat und Vorstand könnten ohne die Mitglieder entscheiden. „Die Genossenschaft hat sich von ihrer ursprünglichen Idee entfernt und mutiert zu einem Wirtschaftsunternehmen.“
Der ursprünglichen Idee der Gartenstadt in Berne kann man besonders gut bei einer Fahrradtour nachspüren: Vorbei an hohen Hecken, riesigen Gartenflächen und kleinen Häusern. Es ist idyllisch und still. In den 1.000 Quadratmeter großen Gärten stehen Fußballtore, Schaukeln, Trampoline, jedes Haus hat einen Spielplatz. Hier zeigt sich der sozialistische Traum einer bezahlbaren Siedlung mit Eigenheimen im Grünen für die Arbeiterklasse. Beinahe 100 Jahre ist die Gartenstadt schon alt.
Die Häuser auf der Dreiecksfläche sind die ältesten Bauten. Zunächst wirken sie nicht baufällig. Für den Laien seien die Schäden nicht erkennbar, sagt Geerd Dahms, der 2010 ein Gutachten für die Genossenschaft erstellte. Die Kellerdecken der Häuser seien von einem Stahlbetonkrebs befallen, gegen den es kein Mittel gebe, sagt Dahms.
Besagtes Gutachten sei nicht ernst zu nehmen, meint Olaf Duge, Mitglied der Grünen in der Hamburgischen Bürgerschaft. „Es ist ein Auftragsgutachten der Genossenschaft, und da müssen bestimmte Erwartungen erfüllt werden.“ Doch dürfe es in der Debatte nicht nur um die sechs Prozent gehen, die nicht unter Denkmalschutz stehen, sagt Duge.
Denn im Hamburgischen Gesetz gibt es einen Passus, der es möglich macht, trotz Denkmalschutzes abzureißen und einen Neubau zu errichten – und zwar dann, wenn eine Renovierung Verluste bedeuten würde. Das müsste der Eigentümer in Einzelfall nachweisen. „So ließe sich sukzessive Haus pro Haus runterwirtschaften“, sagt Duge. „Die Bewohner fürchten sich zu Recht vor Verdrängung und Abriss.“
Lars Pochnicht, Bürgerschaftsabgeordneter der SPD im Bezirk Farmsen-Berne, teilt diese Befürchtungen indes nicht. Er ist Mitglied im Aufsichtsrat der Genossenschaft. „Die SPD begrüßt zwar Wohnungsbau“, sagt Pochnicht, „bei den restlichen 94 Prozent der Gartenstadt ist aber keine Nachverdichtung geplant.“ Vielmehr sei es stets darum gegangen, den Denkmalschutz zu verhindern, denn er sei ein Eingriff in die Eigentumsfreiheit.
Sönke Witt, Vorstand der Gartenstadt Hamburg, argumentiert ähnlich. Der Denkmalschutz bringe der Genossenschaft keine Vorteile, sondern Kosten, sagt er. Denn: „Als Genossenschaft erhalten wir keine Steuervergünstigungen. Für den Erhalt der Siedlung brauchen wir den Denkmalschutz nicht.“ Nun habe man der Genossenschaft die Oberhoheit über einen Großteil ihres Grundbesitzes ohne Gegenleistung genommen.
Zu den eventuellen Abrissen sagt Witt: „Für die Gartenstadtsiedlung, auch für die nicht unter Denkmalschutz stehenden sechs Prozent, haben wir keine Baupläne. Wir zwingen niemanden auszuziehen.“ Doch aus Dokumenten, die der taz vorliegen, geht hervor, dass den Bewohnern auf der Dreiecksfläche Vorteile versprochen wurden, falls sie sich für einen Umzug entscheiden. Dazu zählt eine Bevorzugung bei der Wohnraum-Vergabe und die Teilerstattung der ins Haus investierten Kosten.
Man müsse nun das weitere Vorgehen diskutieren, sagt Sönke Witt. „Damit die Siedlung erhalten bleibt, sind Veränderungen letztlich unausweichlich. Schließlich kann man sie nicht in Kunstharz konservieren.“
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