: Riesen und Zwerge
Deutsche Kunst und ihr blinder Fleck: Schloss Oberhausen erinnert mit „Deutsche Bilder aus der Sammlung Ludwig“ an den missionarischen Eifer des Sammlers und vergisst seine politische Macht
von HENRIKE THOMSEN
1984 brach die Ausstellung „Durchblick“ in Westberlin eine Lanze für Kunst der DDR. Die Werke stammten aus dem Besitz des Sammlerehepaars Irene und Peter Ludwig, das seit den späten 70ern sein Herz dafür entdeckte, wie zuvor für die Pop-Art und die Malfreunde Georg Baselitz, Gerhard Richter und A. R. Penck. Zur Ausstellungseröffnung sprach Willi Sitte, Präsident des Verbands Bildender Künstler der DDR, Vizepräsident Bernhard Heisig steuerte ein Porträt Peter Ludwigs bei. Der Schokoladenfabrikant und promovierte Kunsthistoriker aus Aachen untermauerte später mit der Gründung des „Ludwig-Instituts für DDR-Kunst“ in Oberhausen seinen Anspruch als Mäzen der Ost-Maler, die er gleichrangig mit ihren West-Kollegen sah.
22 Jahre später eröffnet die Galerie im Schloss Oberhausen eine Ausstellung mit dem Titel „Deutsche Bilder aus der Sammlung Ludwig“ ganz im Sinne des verstorbenen Stifters. Der langjährige Leiter des Ludwig-Instituts für DDR-Kunst, Bernhard Mensch, und der Kurator Peter Pachnicke, der auf Seiten des Staatlichen Kunsthandels in der DDR früher die Ankäufe Ludwigs betreute, präsentieren 114 Werke überzeitlich losgelöst im musealen Raum. Ihr Programm ist eine rein ästhetische Begegnung von Ost und West, „gleichberechtigt auf einer Augenhöhe“ und mit nobiltierendem Bezug auf deutsche Kunst bis zurück ins Mittelalter. Das ist nicht zuletzt eine politische Antwort auf die heftig diskutierten Ausstellungen zur DDR-Kunst 1999 in Weimar und 2003 in Berlin.
Zwei große Skulpturen beherrschen die Eingänge: Baselitz’ Modell eines Mannes, der mit zum Hitlergruß erhobener Hand wie ein Rammbock aus dem Holz hervorwächst, und Mattheuers „Jahrhundertschritt“, ein Wesen mit ebenfalls zackig gestreckten Arm. Die Nachkriegskunst ging in beiden Teilen Deutschlands aus der Erfahrung des Dritten Reichs und des Zweiten Weltkriegs hervor, das Misstrauen gegenüber allen Ideologien und Systemen blieb in beiden Teilen groß, so entfaltet sich die Argumentation der Ausstellung. Anselm Kiefer versammelt die Gesichter berühmter Deutscher von Ludwig Uhland bis Horst Wessel, von Kant bis Krupp und stellt die Frage nach ihren Beziehungen. Das Kriegstrauma als einzigen Fluchtpunkt persönlicher wie historischer Erfahrung hält Heisig als Lebensthema dagegen. Allein Sittes „Nach der Schicht im Salzbergwerk“ (1982) ist mit seinen kräftigen Arbeiterkörpern und wohlwollend mild blickenden Ingenieuren ein unverhohlenes Manifest im Sinne des Arbeiter-und-Bauernstaats.
So weit, so wuchtig. Der Rundgang durch das Erdgeschoss endet in Baselitz’ „Pandämonischem Manifest“, dessen Parolen plötzlich weniger an Artaud als an Heiner Müller erinnern. Peter Ludwigs eigene Definition des Deutschen in der deutschen Kunst kommt wenig überraschend: existenziell, tiefgründig, ungezähmt, spröde. Die zweite Etage widmet sich so erwartungsgemäß dem Expressionismus als „das Gemeinsame in der Kunst von Ost und West“ (Ludwig). Die farbigen Paletten von Rainer Fetting oder Walter Libuda leuchten zwischen Karl Schmidt-Rotluff, Emil Nolde und Max Pechstein. Volker Stelzmanns harte Stadtszenen und Johannes Grützkes plakative Leiber präsentieren sich als Erben der Neuen Sachlichkeit. Wie Gaukler bewegen sich dazwischen die lapidar humorvollen Bilder von A. R. Penck. „Der Übergang“ von 1963 zeigt einen mageren Mann, dessen Glieder sich nicht wie in Mattheuers „Jahrhundertschritt“ im Takt der Geschichte verrenken, sondern der aufrecht über einen Balken balanciert.
A. R. Penck gehörte wie Baselitz und Richter zu den Künstlern, die die DDR verlassen hatten. Ein großes Ölgemälde hält den Dissidenten und seine Freunde als vergnügliche Combo der Unverbesserlichen fest: Baselitz mit Stiefeln und gegürtetem Schwert, Penck selbst als Zwerg, dazu der Liedermacher Wolf Biermann mit giftgrünem Gesicht und brennendem Herzen.
Zarte und geheimnisvolle Räume gelingen in der Gegenüberstellung von Joseph Beuys, Gerhard Altenbourg und Gerhard Richter mit Skulpturen aus dem Mittelalter. Da begegnen sich Beuys’ filigrane Bronzeskulptur „Tierfrau“ von 1949 und Altenbourgs große Grafik „Die gepanzerte Jungfrau“ (1968), beide so zurückgenommen fragil wie eigensinnig wehrhaft. Die Dritte im Bunde ist eine weich geschnitzte, karmesinrot gewandete und in tiefsten Gottvertrauen lächelnde „Maria mit dem Granatapfel“ aus dem 14. Jahrhundert. Gerhard Richters berühmte „Ema“ steigt nackt die Treppe hinunter und steuert auf ein Spalier romanischer Säulenheiliger aus dem 12. Jahrhundert zu. Der Körper der Frau wirkt frei und selbstbewusst, die schmalen Männchen halten wie angespannt die steinernen Glieder an sich. Doch allen ist ein Wischeffekt eigen; Maltechnik und Alter entrücken die Figuren in einen eigenen Raum voller Geschichten und Möglichkeiten.
Als Antwort auf die Ausstellung „Durchblick“ setzte sich der Konzeptkünstler Hans Haacke 1984 im Berliner Künstlerhaus Bethanien mit Ludwigs Sammlungspolitik und missionarischem Auftreten auseinander. Er wies darauf hin, dass der Schokoladenkonzern parallel zu seiner Entdeckung der Ost-Maler wirtschaftliche Interessen in der DDR verfolgte und in Westberliner Werken geringe Löhne an die Arbeiterinnen zahlte. Ein Gemälde in der Installation, formal inspiriert durch August Sander und den Ostberliner Vorzeigemaler Walter Womacka, zeigte den millionenschweren Peter Ludwig mit Kittel in einer großen Schüssel rührend. Seine Frau Irene im Schürzenkleid schwingt ein Demo-Schild zur „Solidarität mit den Kollegen im kapitalistischen Ausland“. Im Vordergrund stehen eine Kiste mit der Aufschrift „Staatlicher Kunsthandel der DDR“ und Pralinenschachteln. Auf die Arbeit Haackes gibt es in der Oberhausener Ausstellung und im Katalog keinen Verweis. Auch das Porträt Ludwigs, das in „Durchblick“ zu sehen war, fehlt. Sind nur die Kriegsgemälde Heisigs deutsche Bilder, nicht aber seine Darstellung des Mannes, aus dessen Perspektive diese Ausstellung einmal mehr Kunstgeschichte schreiben will? „Deutsche Bilder aus der Sammlung Ludwig“ ist eine lohnenswerte Schau mit einem charakteristischen blinden Fleck: die kulturpolitische Rolle ihres Urhebers, den sie lieber mythisch entrückt.
Bis 14. Mai, Schloss Oberhausen
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