: Die trauernden Bauern vom Roten Meer
Sechs Wochen nach dem ägyptischen Fährunglück mit 1.000 Toten fühlen sich Hinterbliebene der Opfer im Stich gelassen. Denn die meisten Toten konnten nicht geborgen werden. Für sie gibt es daher keine Sterbeurkunden und keine Entschädigung
AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY
Ein paar Tage standen sie im Rampenlicht der Medien, die Überlebenden und Angehörigen der Opfer eines der größten Schifffahrtsunglücke der letzten Jahrzehnte. Am 2. Februar waren über 1.000 Menschen im Roten Meer ertrunken, als die ägyptische Fähre „al-Salam Boccaccio 98“ auf dem Weg vom saudischen Hafen Duba zur ägyptischen Küstenstadt Safaga im Roten Meer gesunken war. Weltweit liefen im Fernsehen Bilder von verzweifelten Angehörigen, meist arme Bauernfamilien aus dem südlichen Oberägypten, die sich tagelang in Safaga versammelt hatten. Statt Beistand und Informationen zu erhalten, wurden sie von der Polizei niedergeknüppelt.
Jetzt steht Ahsan al-Schahat in ihrer Bauerntracht etwas verloren an einer Straßenecke in der Hauptstadt Kairo, wo sich ein paar Dutzend Angehörige zu einer schüchternen Demonstration zusammengefunden haben. „Ich habe meinen Sohn verloren“, erzählt sie und deutet auf dessen Witwe – eine junge Frau, mit einem Baby auf dem Arm und einem kleinen Jungen an der Hand. „Seine Frau und seine beiden Kinder stehen vor dem nichts. Mein Sohn hat hart in Saudi-Arabien gearbeitet, um uns Geld zu schicken.“ Dann bricht die verwitwete Schwiegertochter in Tränen aus. „Er war unserer Ernährer, wovon sollen wir jetzt leben?“
Bisher hat die Familie keinen Cent Unterstützung von der Regierung oder der Reederei gesehen. Wie die meisten Toten konnte auch dieser nicht geborgen werden; er gilt als vermisst, und daher gibt es auch keine Sterbeurkunde, von einer Entschädigung ganz zu schweigen.
Einige, wie der Bauer Muhammad Hassan, haben ihre Ersparnisse aufgebraucht. Erst brauchte Hassan Geld, um mit seiner Familie von seinem Dorf nach Safaga zu fahren, um irgendetwas über das Schicksal seines Bruders, der an Bord war, in Erfahrung zu bringen. Dann fuhr er nach Kairo, in der Hoffnung, ihn dort im Leichenhaus unter den Toten zu finden. Später hat er die Tagesreise von seinem Dorf in die Hauptstadt mehrmals aufgenommen, um eine Sterbeurkunde zu erhalten. Vergeblich. „All unser Geld ist weg, aber das ist egal“, meint er nun. „Das Einzige was ich will, ist eine Sterbeurkunde. Sie sollen uns wenigstens sagen, ob wir sie in einem Monat oder in einem Jahr bekommen.“ Eine andere Bäuerin ruft aus dem Hintergrund: „Seit mein Mann ertrunken ist, gibt es für mich und meine Kinder nur dünne Gemüsesuppe. Wir sind am Ende!“
Farhan Riyad Farahat ist dankbar und wütend zugleich „Es ist ein Wunder, und ich danke Gott, dass ich überlebt habe“, sagt der 36-Jährige. Nach einer viel zu spät angelaufenen Rettungsaktion wurde er 21 Stunden nach dem Unglück aus dem Wasser gezogen. Vier seiner Cousins waren zu diesem Zeitpunkt bereits ertrunken. Nur zwei konnten geborgen und begraben werden. Für die Beerdigung haben sie umgerechnet 700 Euro vom Staat erhalten. Dazu noch 2.000 Euro Entschädigung. Für die beiden vermissten Cousins aber gab es keinen Cent. „Wir haben bewiesen, dass sie ein Ticket für die Passage gekauft hatten, aber sie sagten, das reicht nicht“, erzählt er. Auch der Name auf der Passagierliste ist nicht genug.
Adel Murad tritt unsicher nach vorn. Er hat seinen Bruder verloren. „Ich will kein Geld; alles was ich will, ist, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden“, sagt er. Und derer gibt es viele. Das Boot war veraltet und die Besatzung schlecht ausgebildet. Als ein Feuer an Bord ausbrach, entschied der Kapitän, nur 30 Kilometer vor der saudischen Küste, die 250 Kilometer entfernte ägyptische Küste anzusteuern. Laut ägyptischen Medienberichten soll er auf Anweisung des Reeders Mamduh Ismail gehandelt haben, der Angst gehabt habe, dass sein Schiff von den saudischen Behörden beschlagnahmt wird, wenn es umdreht. Als die Fähre kenterte, lief die Rettungsaktion erst sieben Stunden später an. Ein Ermittlerbericht britischer und ägyptischer Experten an die Staatsanwaltschaft wird erst in vier Monaten erwartet.
Einer der Kairoer Demonstranten hält sich still im Hintergrund. Er will gar nichts sagen. Stattdessen hält er geduldig den vorbeifahrenden Autos ein selbst gemaltes Schild mit einer einzigen Frage entgegen: „Wann werden jene bestraft, die für den Tod von 1.000 Menschen verantwortlich sind?“
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