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„Ein großartiger Song kommt von überall und nirgends“

DER POPSTAR Fran Healy, der mit seiner Band Travis in den Neunzigern radikal den Britpop veränderte, hat nach Glasgow und London Berlin zu seiner Heimat gemacht. In den Eckkneipen der Stadt erkennt er Orte seiner Kindheit wieder, im Umgang der Berliner mit Stars die schottische Mentalität. Ein Gespräch über die Arbeiterklasse, alte Helden und eine überraschende Begegnung mit Wim Wenders, der Healy einst zum Namen seiner Band inspirierte

Fran Healy

■ Der Mann: Francis Healy wird 1973 im englischen Stafford geboren und wächst im schottischen Glasgow auf. 1996 lernt er die deutsche Fotografin Nora Kryst kennen, der gemeinsame Sohn Clay kommt im März 2006 zur Welt. Im Februar 2008 zieht die Familie nach Berlin-Prenzlauer Berg.

■ Die Band: 1991 steigt der Kunststudent, Gitarrist und Sänger Healy in die Glasgower Popband Glass Onion ein. Nach diversen Wechseln entsteht die bis heute gültige Besetzung mit Healy, Bassist Dougie Payne, Gitarrist Andy Dunlop und Schlagzeuger Neil Primrose. Das Quartett nennt sich nach der Hauptfigur aus dem Wim-Wenders-Film „Paris, Texas“ Travis und zieht 1996 nach London. Der Durchbruch gelingt 1999 mit dem zweiten Album, „The Man Who“, und dem Welthit „Why Does It Always Rain On Me?“, die einen fortan dominierenden Schmuse-Britpop prägen. 2007 wird Coldplay-Sänger Chris Martin sagen: „Travis haben meine Band und viele andere erfunden.“

■ Das neue Album: „Where You Stand“ ist das siebte Studioalbum von Travis. Nach fünfjähriger Pause reaktivieren Healy und seine Mitstreiter ihren bekannten, keine Harmonie fürchtenden Gitarren-Softrock. Der gibt sich zwar bisweilen Mühe, ein wenig energischer zu klingen, ist aber dann am besten, wenn er sich ohne Reue seinen Ohrwurmqualitäten widmet. (to)

INTERVIEW THOMAS WINKLER FOTOS MIGUEL LOPES

taz: Herr Healy, auf dem neuen Album Ihrer Band Travis gibt es einen Song namens „Moving“, der vom Umziehen handelt.

Fran Healy: Ja, aber den habe nicht ich, den hat unser Bassist Dougie Payne geschrieben.

Gut, aber Sie sind vor fünf Jahren nach Berlin gezogen. In dem Song singen Sie: „Home is anywhere you are.“ Wo sind Sie zu Hause?

Die Botschaft des Songs ist: Wo das Herz ist, ist man zu Hause. Ich kann sagen: Berlin ist meine Heimat geworden.

Hatten Sie das Gefühl schon, wenn Sie früher mit Travis hier aufgetreten sind?

Nein. Aber das kann daran liegen, dass wir immer nur im Winter in Deutschland gespielt haben. Das war nicht gerade Werbung für das Land.

Jetzt gefällt es Ihnen?

Ja, das erste Mal in meinem Leben habe ich nicht mehr das Gefühl, woanders hinzuwollen. Schon als Kind wollte ich immer raus und in Bewegung sein. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich Vater bin – nun geht es mir gut, wo ich bin.

Sie haben sich weder in Glasgow, wo Sie aufgewachsen sind, noch in London zu Hause gefühlt?

Nein. Wir haben auch noch eine Wohnung in New York. Aber wir haben uns dagegen entschieden, dort hinzuziehen. In erster Linie wollten wir an einem Ort wohnen, an dem Kinder so lange wie möglich Kinder bleiben können. Und seit wir hier sind, merke ich: Berlin passt zu mir. Das Leben ist einfach, das Tempo noch menschlich – im Gegensatz zu London, wo alle wie die Verrückten herumrennen. Ganz ehrlich: Ich mag euch Deutsche. Ich fühle mich hier auch viel sicherer als in Glasgow. Da ist es an der Tagesordnung, dass jemand an dir vorbeigeht und sagt: Hast du mich schräg angeguckt? Und im nächsten Moment haut er dir eine rein.

Das kann hier nicht passieren?

Hier macht es noch Schlagzeilen. In Großbritannien ist so etwas Alltag. Ich glaube außerdem, wenn man Kinder hat, beginnt man intensiver zurückzuschauen – und man möchte den eigenen Kindern das mitgeben, was man selbst erfahren hat. Im Glasgow meiner Kindheit gab es noch kleine Eckläden und Nachbarschaftskneipen, die Sonntage waren ruhig, weil die Läden geschlossen hatten. So eine reduzierte Geschwindigkeit findet man heutzutage nirgends mehr in den USA oder Großbritannien. Ich würde auch nicht behaupten, dass das Berlin von heute genauso ist wie das alte Glasgow. Aber ich stoße hier immer wieder auf Echos, fast jeden Tag gibt es einen kleinen Moment, in dem ich mich mit meiner Vergangenheit verbunden fühle. Das ist doch schön, sich immer mal wieder wie ein Achtjähriger zu fühlen. Ich denke, die nächsten zwanzig Jahre werden wir auf jeden Fall hierbleiben.

Auch Berlin verändert sich, auch hier wird das Leben teurer und schneller …

Ja, ich weiß. Und ich bin offensichtlich Teil des Problems. Ich habe das schon in London erlebt. Da habe ich in einer Straße gewohnt, bei der nach und nach jedes Haus von Investoren aufgekauft wurde. Heute passiert das in Berlin. Zuerst kommen die Künstler, weil es billig ist. Wenn es cool ist, kommen die Reichen, und es hört auf, cool zu sein. So läuft es nun mal, ob in Soho oder in Prenzlauer Berg: Wenn das Geld kommt, wird es langweilig. Das merkt man am deutlichsten am Potsdamer Platz.

An dessen Rand, in den legendären Hansa-Studios, haben Sie einen Teil Ihres neuen Albums aufgenommen. Sind Ihnen dort die Geister der alten Helden begegnet?

Als ich das erste Mal dort war, war ich ganz schön eingeschüchtert. Die Studios sind wie ein Museum, sie sehen immer noch aus wie in den Siebzigern. Es gibt sogar noch das alte Equipment. Man kann auf dem Verstärker spielen, den schon Iggy Pop verwendet hat, oder auf dem Synthesizer, auf dem Brian Eno gespielt hat. Man kann ein Mikro benutzen, in das schon David Bowie gesungen hat. Die Hansa-Studios sind wie eine Zeitmaschine – nur draußen ist es leider schrecklich. Der Potsdamer Platz ist ein übles Beispiel dafür, was passiert, wenn das Geld kommt.

Kann man das auf Ihrem Album hören? Schließlich ist es das erste Travis-Album, dessen Songs Sie in Deutschland geschrieben haben.

Wenn man es hören würde, dann würde ich meinen Job nicht gut machen. Meiner Meinung nach muss ein großartiger Song nicht von einem bestimmten Ort kommen, sondern von überall – und von nirgendwo. Weil er ja auch Menschen ansprechen muss, die nicht in genau derselben Situation sind. Deshalb sind mir die Melodien auch viel wichtiger als die Texte.

Sie sagen, Sie sind Teil der Gentrifizierung. Wie geht es Ihnen damit?

Ich weiß das, aber ich fühle es nicht. Und zwar, weil ich noch nie in meinem Leben das Gefühl hatte, reich zu sein. Es geht mir inzwischen finanziell sicher nicht schlecht. Trotzdem gehe ich heute noch in einen Laden und denke, die glauben jetzt alle, ich bin hier drin, um etwas zu klauen. Wirklich. Ich möchte am liebsten sagen: Alles in Ordnung, ich kann bezahlen, hier ist mein Geld.

Haben Sie schon konkrete Veränderungen beobachtet in den fünf Jahren, in denen Sie in Berlin leben?

Ja, natürlich. Berlin ist eine Baustelle, das ist ja nicht zu übersehen. Auch der ein oder andere Spielplatz ist verschwunden. („Spielplatz“ ist das erste deutsche Wort, das Healy in einem englisch geführten Interview benutzt.)

War „Spielplatz“ das erste deutsche Wort, das Sie gelernt haben?

Nein. „Arschloch“ war natürlich mein erstes Wort, ich bin schließlich mit einer Deutschen verheiratet. Aber um auf das Thema Veränderung zurückzukommen: So lange habe ich mich noch gar nicht damit beschäftigt. Ich habe auch erst kürzlich zum ersten Mal diesen Begriff für Prenzlauer Berg gehört, wie hieß das noch mal, Schwa…

Schwabylon?

Ja, genau, Schwabylon. Das ging lange an mir vorbei. Als Ausländer lebt man in einer kleinen Blase, die noch innerhalb der Blase Prenzlauer Berg existiert. Schon weil mein Deutsch nicht gut genug ist, entgeht mir einiges. Mein Sohn geht auf eine bilinguale Schule, ihm geht es da sehr gut. Jeder muss mithelfen: Ich habe den Schulsong geschrieben, Herbert Grönemeyer hat Klavier und Stephen Malkmus von Pavement hat Bass gespielt. Diese Blase in der Blase ist manchmal sehr bequem.

Diese kleinere Blase ist die britische Expat Community?

Nein, in unserem Kiez sind wir ziemlich gut integriert. Wir haben holländische Nachbarn, und die anderen kommen aus allen Teilen Deutschlands. Ganz ehrlich: Die allermeisten Menschen, die ich kenne, machen einfach weiter mit ihrem Leben, ohne sich groß mit der Gentrifizierung zu beschäftigen. Und dann gibt es eine kleine Gruppe, die „Schwaben raus!“ auf Wände sprüht.

Sie haben Gentrifizierung in London und jetzt hier erlebt. Kann man diese Entwicklung aufhalten?

Nicht in London. Aber ich glaube, hier ist noch nicht alles verloren. Weil ihr Deutschen noch anders denkt. In Großbritannien ist in den achtziger Jahren die amerikanische Krankheit ausgebrochen, die Menschen haben wie verrückt Schulden gemacht: Mein großes Haus, mein dickes Auto, mein kleiner Penis! Solche Leute gibt es hier natürlich auch, aber generell seid ihr viel genügsamer, Statussymbole sind hier nicht so wichtig. In der Beziehung sind die Deutschen übrigens wie die Schotten – vielleicht fühle ich mich hier auch deshalb zu Hause.

Sie legen Wert auf Ihre Arbeiterherkunft und haben schon mal gesagt, Sie hätten, selbst als Travis wahnsinnigen Erfolg hatten, niemals das Bedürfnis gehabt, hip zu sein.

Es geht nicht ums Wollen, es geht ums Können. Wenn man aus der Arbeiterklasse kommt, kann man kein Hipster werden. Hip zu sein, das sind Ferien, die sich Kids aus der Mittelschicht von ihrer Herkunft nehmen. Das sind wohlhabende Kids, die eine Wahl haben.

Sind Sie im Berliner Nachtleben unterwegs?

Kaum. Ich war auch noch nie im Berghain, aber immerhin schon mal im Badeschiff. Aber auch das nur, weil Nigel und Thom dort aufgelegt haben.

Nigel Godrich, der Produzent vieler Travis-Alben, und Thom Yorke von Radiohead.

Ja, genau. Ich bin halt mitgegangen, weil ich die beiden kenne. Ich finde elektronische Musik mittlerweile toll, ich gehe gern ab und an in einen Club. Aber ich bin mit anderer Musik aufgewachsen – und ich bin nun mal der Typ, der in einer Band ist und singt. Das ist mein Job.

War das vielleicht auch ein Grund, nach Berlin zu kommen: Dass man als Popstar hier relativ unerkannt bleibt, weil Berlin eine Stadt der elektronischen Musik ist?

Nein, wir sind auch in London nicht erkannt worden. Deswegen haben wir auch mal ein Album „The Invisible Band“ genannt. Wir waren zwar berühmt, aber wir waren eine Radioband. Niemand kannte unsere Gesichter.

Seltsam. Immerhin hatten Sie mit dem Song „Why Does It Always Rain On Me“ 1999 einen Welthit.

Das war eine seltsame Zeit.

Warum?

So läuft es nun mal, ob in Soho oder Prenzlauer Berg: Wenn das Geld kommt, wird es langweilig

Man kann sich das vielleicht so vorstellen: Alle Bands stehen am Rande des Meeres und hoffen, sie kriegen eine der Wellen, die vorbeikommt. Auch wir standen da, sahen Freunde auf einer Welle reiten und wieder zurückkommen, aber wir schafften es sechs Jahre lang selbst nie auf eine Welle. Das ist eine lange Zeit, wenn man jung ist. Und plötzlich erwischt uns wie aus heiterem Himmel ein Tsunami, trägt uns weg – und Jahre später finden wir uns hoch auf einem Baum wieder und wissen nicht, wie wir wieder runterkommen sollen. Das ging alles so schnell, wir hatten gar keine Zeit, den Erfolg überhaupt zu verarbeiten.

Klingt nicht gut.

Es war toll. Aber man zieht einfach den Kopf ein und hofft, dass alles gut geht. Ich genieße es gerade auf jeden Fall sehr, nicht mehr so berühmt zu sein. Die Idee, eine Berühmtheit zu sein, kam mir schon immer seltsam vor. Ich hatte das Gefühl, ich muss eine Rolle spielen. Aber ich bin kein sonderlich guter Schauspieler. Auch da sind wir Schotten den Deutschen sehr ähnlich: Wenn ich in Glasgow in eine Kneipe gehen und behaupten würde, ich sei ein Rockstar, würden mich die Leute auslachen, oder ich würde mir eine einfangen. Hier in Berlin wirst du ignoriert.

„Life doesn’t fit on the big screen“, singen Sie auf dem neuen Album. Wenn das Leben zu groß für die Filmleinwand ist, passt es denn dann in einen drei Minuten langen Popsong?

(denkt lange nach) Ja.

Wie geht das denn?

Für Filme braucht man viel Geld, viel Zeit und viele Menschen. Und am Ende gibt es – jedenfalls für mich – immer eine Schwelle, die ich emotional nicht überwinden kann. Ein Film bleibt immer ein Kunstprodukt, er ist eingesperrtes Leben. Musik wirkt viel direkter. Um Menschen mit einem Film zu berühren, muss man ein Meister sein. Beim Songschreiben ist das leichter, es passiert manchmal sogar zufällig. Ein großartiger Song gibt einem das Gefühl, mit allem verbunden zu sein. Das merkt man meist auch schon beim Schreiben.

Ist das ein Zustand, der von selbst kommt? Oder können Sie den absichtlich erzeugen?

Nein, den kann ich nicht planmäßig schaffen. Songschreiben ist eher wie auf die Toilette gehen. Manchmal muss es eben raus.

Aber trotzdem lieben Sie offensichtlich Filme, sogar deutsche. Ihre Band Travis wurde jedenfalls nach dem Protagonisten des Wim-Wenders-Films „Paris, Texas“ benannt.

Ja, ich fand den Film gut. An der Kunsthochschule war ich im Filmclub, da haben wir Wenders-Filme gesehen. Mein Lieblingsfilm ist übrigens „Der Himmel über Berlin“. Als wir entschieden haben, nach Berlin zu ziehen, hatte ich auch diesen Film im Hinterkopf. Manchmal fahre ich über die Brücke, wo der Motorradfahrer im Film den Unfall hat, und jedes Mal bin ich berührt – hier waren die Engel, denke ich dann. Ich habe ihn übrigens erst vor Kurzem getroffen.

Wen?

Wenders. Wir waren zu einer Geburtstagsfeier in ein Restaurant eingeladen, dort gab es Tischkarten. Auf einer stand „Wim“, und ich witzelte noch rum, das ist bestimmt Wim Wenders. Eine halbe Stunde später spaziert tatsächlich Wim Wenders herein und setzt sich mir gegenüber. Aber wir sprechen nicht miteinander, wir werden auch nicht vorgestellt. Er unterhält sich stattdessen eine Weile sehr nett mit den Kindern. Dann spricht er mit anderen, die offensichtlich auch etwas mit Film zu tun haben, über die Finanzierung von Filmen. Es geht darum, dass „Paris, Texas“ zwar in den USA und mit amerikanischen Schauspielern gedreht wurde, ohne deutsche und europäische Fördergelder damals aber nie hätte realisiert werden können. Und plötzlich dreht er sich zur mir um und sagt: Aber Sie wussten das alles schon, oder?

Wenders wusste die ganze Zeit, wer Sie sind?

Ja. Und ich werde rot und kann gerade noch stammeln: Ich habe meine Band nach „Paris, Texas“ benannt. Und er, ganz cool: Ich weiß.

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