: Neues vom wertlosen Glück
LYRIK Abenteurer des Alltags: In neuen Gedichtbänden von Steffen Jacobs und Hendrik Rost bleibt die Liebe eine unterkühlte Angelegenheit, aber höhere Spielfreude findet sich auch
Ach nein, er ist kein Beaumit glattrasiertem Po,sein Antlitz ist nicht von Brad Pitt,von Arnie nicht sein Körperschnitt.
Er wirkt, im Ganzen, ziemlich lose,von Mützensaum bis Breitkordhose.Kurzum, man nennt ihn einen Mann.Und du? Nimmst du ihn an?
STEFFEN JACOBS
VON ANDREAS WIRTHENSOHN
Als 1996 „Der Alltag des Abenteurers“ erschien, der erste Gedichtband eines jungen Autors namens Steffen Jacobs, kam, wie es sich gehört, sogleich der Lyrikdoktor zur Visite und stellte eine alles in allem recht erfreuliche Diagnose: Es handle sich um „das vielversprechendste Lyrik-Debüt der vergangenen literarischen Saison … vielleicht, weil es das einzige war. Zumindest durch die Vielfalt ihrer Formen und Anklänge wissen die Gedichte von Steffen Jacobs für sich einzunehmen.“ Nur das „Eigene“ sei noch ein wenig schwer zu fassen. Immerhin aber: „Ein Verblassen dieses Dichters ist einstweilen nicht zu befürchten.“
Die Kolumne namens „Lyrische Visite“, die einige Jahre lang in der Neuen Rundschau erschien, gehört noch immer zum Erfrischendsten, was in Sachen Lyrikkritik zu lesen ist. Ihr Verfasser hieß Jakob Stephan und befleißigte sich eines etwas altväterlichen Duktus, doch wie sich irgendwann herausstellte, verbarg sich hinter diesem Pseudonym kein Geringerer als besagter Steffen Jacobs, der mit einem durchaus frischen Ton die Lyrikbühne betrat: immer hautnah an der Alltagsrealität, doch dabei in hohem Maße form- und traditionsbewusst. Da reimte sich „Sarah Kirsch“ schon mal auf „Pirsch“, und auch sonst war die spielerische Freude an überraschenden Versen und Volten nicht zu übersehen. Nach drei Gedichtbänden war dann allerdings doch ein Verblassen dieses Dichters zu befürchten. Nun aber, acht Jahre nach „Angebot freundlicher Übernahme“, überrascht er uns mit Liebeslyrik.
Auch diese Gedichte sind, wie der Lyrikdoktor schon fürs Debüt zutreffend vermerkte, wieder „irgendwo zwischen höherer Spielfreude und tieferem Lebensernst“ angesiedelt. Beispielhaft dafür mag das erste von drei Gedichten stehen, die unter dem Titel „Abenteuer Mensch“ versammelt sind:
Der „Lebensernst“ kommt dann im letzten Gedicht dieser Trias ins Spiel: Dort ist dann vom einsamen, „verkopften“ Individuum die Rede, das ganz auf sich konzentriert und daher im Grunde beziehungsunfähig ist: „Da erkennt er jäh mit Schrecken, / wie er andere vergrätzt, / und er denkt, so im Verrecken: / Ach, das Eigene wird überschätzt.“
Die drei Teilgedichte nun sind nach ihrem jeweiligen Reimschema benannt: „aabb“, „abba“ „abab“. Darin manifestiert sich beispielhaft eine grundsätzliche Schwäche, die diesen Lyrikband in weiten Teilen bestimmt, dass nämlich die Form wichtiger ist als das, was dann in diese Form gegossen wird. Viel zu oft hat man den Eindruck, dem Autor kommt es eher auf den witzigen Reim oder das Wortspiel an als auf das, was – altmodisch gesprochen – den Gehalt des Gedichts ausmacht.
In der Frage, worin sich denn nun das Abenteuer Mensch zeigt, ist man nach der Lektüre des Gedichts kein bisschen schlauer. Und die Tatsache, dass Jacobs dem Text ein Motto von Marcel Reich-Ranicki voranstellt, wonach die Literatur nur zwei Themen habe, nämlich die Liebe und den Tod (was natürlich hanebüchener Unsinn ist), verleiht ihm allenfalls ansatzweise eine zusätzliche Bedeutungskomponente: nämlich vorzuführen, was für ein Nonsens herauskommt, wenn man diese Forderung ernst nimmt.
Überhaupt bleibt die Liebe bei Jacobs eine recht unterkühlte Angelegenheit. Da kommt zwar gerne die ein oder andere zotige Anspielung zum Einsatz – etwa die „Wünschelrute“ oder die Banane „von hinten und von vorn“ –, aber so recht zünden wollen die Wortspielereien nicht: „Eifer sucht und Eifer findet, / Sucht sucht auch und eifert blind. / Eifersucht, die doppelt bindet, / sorgt, daß wir beisammen sind.“
Deine Hand an meinem Vers,Heben, Senken, schönes Schwanken.Jetzt erst bin ich wirklich hierund bin nicht nur in Gedanken.
Strophen, ganz in deiner Handfinden sie ins Freie, Lichte.Erst wenn du sie nicht mehr hältst,sind es wieder nur Gedichte.
Und du läßt sie leichthin fallen,öffnest deinen Mund zum Schluß,sagst: So wisse, Lieber, meinRhythmus ist der Daktylus.
STEFFEN JACOBS
Die Sache zwischen Mann und Frau bleibt seltsam unkonkret, sie ist meist eher etwas für den Traum und die Gedanken. Nur selten stellt sich eine schwebende Leichtigkeit des Sprechens über die Liebe ein wie in dem Gedicht „Mystical Wife“, wo Form und Inhalt zueinander finden und die Verse die erotische Anziehung wunderbar zum Ausdruck bringen:
Überhaupt ist Jacobs dort am besten, wo er mit den Traditionen spielt, etwa in „Parken verboten“, einer sehr hübschen Parodie auf Stefan Georges „komm in den totgesagten park“, oder in der „Moritat vom Atemtier“, die als großes Memento mori gestaltet ist, um am Ende mit einem wunderbaren „Täglich grüßt das Atemtier“-Effekt in die Endlosschleife des Alltagslebens zu springen.
Ein Abenteurer des Alltags ist auch der 1969 geborene Hendrik Rost, der mit „Der Pilot in der Libelle“ immerhin schon seinen fünften Gedichtband vorlegt (von denen leider keiner vom Lyrikdoktor abgehorcht wurde). Ob die „Brandschutzvorschriften / auf dem Pressspanschrank / in diesem Hotel“, ob eine „nervige Fliege“ auf dem Käse, ob die eigene Tochter oder der „Eiskremkopfschmerz“ – alles wird dem beobachtenden Ich dieser Gedichte zum Ausgangspunkt, um Erinnerungen wachzurufen, um die Wahrnehmungen und Assoziationen „driften“ zu lassen, um das Flüchtige des Augenblicks in eine Form zu bannen, die über den Moment hinausreicht. „Ich setze nicht auf Ansichten / Neigung bleibt in Rufweite von Traurigkeit / Tradition läßt sich nur zahm vorstellen / Es geht um wunderschöne Zerstörung / Perlen wachsen um Lüge“.
„Kompositionsprinzip“ heißt das Gedicht, aus dem diese Verse stammen, und sie dürfen in der Tat als eine Art Leitprinzip für Rosts Lyrik gelten. Die formale Strenge ist deutlich „zahmer“ ausgeprägt als bei Steffen Jacobs, ebenso die Neigung zum sentenzenhaften Sprachspiel. Stattdessen durchzieht seine Texte ein meditativer Grundton, der stets eine gewisse Distanz zum Gesehenen aufrechterhält und dem Blick durch das „Zeitfenster“ etwas Schwebendes verleiht.
Auf diese Weise gerät ihm beispielsweise die Begegnung mit Fans des FC St. Pauli zum Nachdenken über die „Natur“ allen Lebens:
Leute zogen mit Schalsim Regen vom Stadionzur Reeperbahn, es warein Tag aus einer Liga,die nicht der Rede wert ist.Alles trank Bier aus Trotz,einige sangen noch,vor der Ampel sah ichunter ihnen den Labrador,der bei Grün, Fußballzwischen den Pfoten, überdie Straße trabte, präziseFußarbeit, er ging unddribbelte beiläufig,mit der Schnauze kurvte erden Ball um die Fansin ihren Farben von Siegoder Schlappe, und weiter,Maskottchen, von allenbewundert. Die Spielernatur.
HENDRIK ROST
Allein der Hund mit seiner Eleganz und Präzision verkörpert die Essenz des Lebens, während die Menschen um ihn herum nur Statisten sind, beschäftigt mit Dingen, die im Grunde nicht der Rede wert sind. Überhaupt geht es in Rosts Gedichten erstaunlich oft um Tiere, die die Aufmerksamkeit des Ichs auf sich ziehen. Fast ist man versucht, von „animistischer“ Lyrik sprechen, die alles Nicht-Menschliche beseelt: das Eichhörnchen, die Libelle und sogar die gemeine Stubenfliege, die gleich zu drei ins Metaphysische ausgreifenden Gedichten inspiriert – „Kleine Theologie I–III“.
Wie Hendrik Rost einmal formuliert hat, sind Gedichte für ihn nichts anderes als Gebete oder Zaubersprüche. „Gebete und auch Gedichte richten sich an etwas, wovon der betende, dichtende Mensch nicht mehr weiß, als der Glaube, die Phantasie es zulässt.“ Das hat freilich weniger mit Religiosität zu tun, vielmehr mit sprachlicher Anverwandlung: „Was ein Gedicht nicht zu sagen vermag, das gibt es nicht.“
In diesem Glauben an die wirklichkeitsstiftende Kraft der Poesie trifft er sich dann wieder mit Steffen Jacobs, der über einen „Gerüstbauer“ vor seinem Fenster schreibt: „Wirklich, ich komme / in seiner Welt nicht vor. // Es ist meine Welt, / die ihn, wirklich, enthält.“ Daraus resultiert dann das seltsame Paradoxon lyrischen Sprechens, ganz Augenblick zu sein und diesen Augenblick doch auf Dauer stellen zu wollen. „Das Gedicht ist wertloses Glück. / Es weiß alles, aber es leistet nichts. Sein Atem ist länger / als deiner.“ Sagt Hendrik Rost.
Der Lyrikdoktor würde sagen: Ein Verblassen dieses Dichters ist nicht zu befürchten.
■ Steffen Jacobs: „Die Liebe im September“. Wallstein, Göttingen 2010. 88 Seiten, 18 €Ľ■ Hendrik Rost: „Der Pilot in der Libelle“. Wallstein, Göttingen 2010. 111 Seiten, 18 €
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