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Amir Peretz kommt schlecht an

Fünf Tage vor den Parlamentswahlen in Israel macht die Arbeitspartei mit einem Sozialprogramm Wahlkampf. Doch die traditionellen Wähler wenden sich ab

Dass Amir nicht mit faulen Eiern und Tomaten beworfen wird, ist schon ein Erfolg

JERUSALEM taz ■ „Wie geht’s, mein Lieber?“, fragt Amir Peretz leicht verkrampft einen Schuhverkäufer, der von dem Besuch des Spitzenkandidaten der israelischen Arbeitspartei sichtlich überrascht ist. „Gott sei Dank, es ist alles in Ordnung“, antwortet der schüchtern, während Kameras und Mikrofone auf ihn zielen und die Sicherheitsleute in seinem Laden Posten beziehen. „Yitzhak Metetija“ stellt sich der fromme Händler mit Kipa auf dem Kopf vor und wartet darauf, dass Peretz seine Hand wieder loslässt. Als der Trupp seinen Laden wieder verlässt, schickt er Peretz erleichtert noch ein freundliches „Viel Glück“ mit auf den Weg. Dass Metetija selbst die Stimme für den Sozialisten abgibt, glaubt er allerdings nicht. „Wir wählen das, was der Rabbi uns sagt“, meint er. Und das war bislang immer die orientalisch-religiöse Schass.

Der Spitzenkandidaten der Arbeitspartei versucht, auf fremdem Territorium seine Kampagne für die Parlamentswahlen am Dienstag voranzutreiben. „Ich kann nicht eineinhalb Millionen Wähler besuchen“, sagt er. „Ich komme zu so vielen wie möglich“, setzt Peretz hinzu. Die Jaffostraße in Jerusalem ist traditionelles Revier von Schass und Likud. „Dass Amir hier nicht mit faulen Eiern und Tomaten beworfen wird, ist schon ein Erfolg“, meint ein junger Mann aus seinem Kampagnen-Team.

Die Leute reagieren wenig aufgeregt, aber durchaus freundlich, als Peretz ihnen den 1.000-Dollar-Schein in die Hand drückt, mit den Wahlslogans auf der Rückseite. Eine Erhöhung der Mindestlöhne ist das Versprechen, das kaum jemand für realisierbar hält. Das ist offenbar das größte Problem für Peretz, dessen Agenda zwar grundsätzlich auf Sympathie, doch bislang kaum auf Erfolg stößt. Nach dem Überlaufen des ehemaligen Parteivorsitzenden Schimon Peres zur neuen Partei Kadima sanken die Umfrageergebnisse für die Arbeitspartei und bleiben seither bei rund 20 von insgesamt 120 Mandaten relativ konstant.

„Das Wichtigste ist, dass hier Ruhe herrscht“, meint Schuhhändler Metetija. Dann gingen die Geschäfte auch wieder besser. Die Jaffostraße war wiederholt Schauplatz blutiger Terrorattentate. Nur wenige Häuser von Metetijas Geschäft entfernt tötete in dem Fast-Food-Restaurant „Sbarro“ ein Sprengsatz 15 Menschen. Der 26-jährige David Bakster arbeitete in der Boutique „Organsa“, als die Bombe hochging. „Hier geht es nicht um eine Sozialagenda“, meint er, die übergroße 1.000-Dollar-Note von Peretz noch in der Hand haltend.

Auch Bakster glaubt nicht, dass die Arbeitspartei die Mindestlöhne erhöhen kann. Er will seine Stimme Ehud Olmert geben, dem Spitzenkandidaten der Kadima, die wahrscheinlich das Rennen für sich entscheiden wird. „Peretz wird alles aufgeben“, während Olmert „den Weg von (Premierminister Ariel) Scharon fortsetzt“, also den Abzug aus den palästinensischen Gebieten, „wo wir nicht hingehören“. Gleichzeitig werde er im Fall Jerusalems kompromisslos sein. „Jerusalem ist nur für das jüdische Volk“, findet Bakster.

Peretz’ Tour führt von Jerusalem weiter nach Süden, in die überwiegend von marokkanischen Einwanderern bevölkerte, sehr arme Kleinstadt Kirjat Mal’achi. „Einer von uns“, ruft ihm jemand aus der Menge zu. Ungewohnte Töne für einen Kandidaten der Liste, die als traditionell ashkenasische (europäisch-jüdisch) Partei gilt. Auch Kirjat Mal’achi war bislang Hochburg des Likud, wobei viele Wähler aus Frustration über die sozialen Kürzungen diesmal anders oder gar nicht wählen dürften. Ex-Finanzminister Benjamin Netanjahu, der die Reformen unterzeichnete, zieht für den Likud in den Wahlkampf.

Fraglich bleibt, ob die Rechnung mit dem Spitzenkandidaten der Arbeitspartei, der zum ersten Mal kein Ashkenase ist, sondern aus Marokko stammt, aufgeht. Denn der Stimmenzuwachs im orientalischen Sektor wird mehr als ausgeglichen durch den Weggang traditioneller Wähler, die sich weder mit dem neuen Parteichef identifizieren können noch mit dessen Wirtschaftsprogramm. Die israelische Arbeitspartei ist eine Partei der Industriellen, Unternehmer und Bildungsbürger.

Auch die politische Agenda bietet den Abtrünnigen kaum einen Grund zur Rückkehr, denn Kadima, die Partei Olmerts, verfolgt fast dieselbe Linie. „Wir sind es gewohnt, dass unsere politischen Ideen geklaut werden“, kommentiert der ehemalige Innenminister Ofir Pines-Pas. „Hauptsache, sie kommen überhaupt zur Umsetzung.“ Auf die entmutigenden Umfrageergebnisse für seine Liste will er nichts geben. Die meisten Wähler seien noch verwirrt und unentschlossen. „Ich würde jedenfalls niemandem raten, auf ein Wahlergebnis zu wetten. Das könnte teuer werden.“ SUSANNE KNAUL

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