: Der Freibeuter Bekehrung
INTERNET Sie waren die Pioniere einer Bewegung, die für frei verfügbare Inhalte im Netz kämpfte. Inzwischen haben sie den Glauben an das reine Verschenken verloren
■ Jahrgang 1978, wurde in den vergangenen Jahren ein Held der Free-Culture-Bewegung: Als einer der Betreiber der Downloadseite Piratebay boten er und seine Mitstreiter der Musik- und Filmindustrie die Stirn in einem spektakulären Prozess. Diesen verloren sie im April 2009. Heute versucht Sunde über die Webseite flattr.com Kleinstspenden für Künstler zu sammeln – und blog.brokep.com .
VON MEIKE LAAFF
Peter Sunde war Pirat. Ein weltweit bekannter Datenfreibeuter. Sprecher von Pirate Bay, der berühmten Plattform, dank der Internetnutzer alles fanden, was sie sich kostenlos aus dem Netz saugen wollten. Unerschrocken bot der heute 31-jährige Schwede der mächtigen Unterhaltungslobby die Stirn und wurde so zum Helden der freien Digitalkultur.
Heute hat er ein neues Projekt: Statt zum digitalen Datenklau anzuregen, kümmert er sich neuerdings darum, wie Künstler über das Netz Geld verdienen.
Vor einem Jahr tobte der Prozess zwischen thepiratebay.org und der Unterhaltungsindustrie. Sunde stand mittendrin. Doch auch mit seinen rotzfrechen und eloquenten Statements konnte er nicht verhindern, dass er und seine Mitstreiter von Pirate Bay zu millionenschweren Geld- und Bewährungsstrafen verurteilt wurden. Bis heute meint Sunde dazu: „Wir würden Ölkonzerne doch auch nicht Abfindungen zahlen, wenn wir eine Methode entwickeln würden, dank deren Autos mit Wasser fahren.“ Trotzdem hörte er kurz nach dem Prozess bei Pirate Bay auf – und meldet sich nun mit flattr.com zurück, einem Mikro-Bezahlsystem für Digitalkultur. Das einfache Prinzip: Der Netzuser entscheidet, wie viel Geld er monatlich für Kultur im Internet ausgeben will, und bestimmt, welcher Künstler wie viel davon bekommen soll.
Hat Sunde einen Wandel vom Saulus zum Paulus vollzogen? Eingesehen, dass es notwenig ist, mit Kultur im Netz Geld zu verdienen? Nein, sagt Sunde: „Geld ist keine Notwendigkeit. Geld ist kein Ziel. Geld ist ein Werkzeug, eine Form der Wertschätzung.“ Er habe ein zeitgemäßes System schaffen wollen, mit dessen Hilfe Leute im Netz Geld teilen können – und dabei sei Flattr herausgekommen. „Es hat ein Oligopol bei der Verteilung von Geld gegeben“, sagt Sunde. Die Unterhaltungsindustrie streicht Einnahmen ein, bei den Künstlern kommt wenig an. „Pirate Bay hat das erschüttert. Und ich rüttle jetzt an dem Punkt, an dem es um das Oligopol geht, darum, wer Geld bekommt.“
Die „Herren der digitalen Wolken“ scheffeln Kohle, die Künstler vegetieren am Existenzminimum vor sich hin – das ärgert auch US-Netzpionier und Autor Jaron Lanier. Anders als Sunde hält er allerdings das gesamte Konzept von freier Kultur im Netz für gescheitert. „Inzwischen glaube ich, dass es langfristig besser für alle wäre, wenn geistige Erfindungen bezahlt würden“, sagt der 49-jährige Dreadlockträger, der seit den 80er-Jahren in der Netzszene mitmischt und den Begriff der „virtuellen Realität“ erfand.
Er war einst selbst einer, der vom freien Netz für alle träumte. Der über Labels und Verlage lachte, diese Dinosaurier der alten Ordnung, die vor der digitalen Revolution gewarnt waren und sich aus Unbeweglichkeit oder Dummheit nicht anpassten. „Nur war keiner von uns in der Lage, den Dinosauriern irgendeinen konstruktiven Rat zu geben, der ihnen beim Überleben helfen kann“, konstatiert Lanier heute selbstkritisch in der FAZ.
Kritik wie diese ist nicht neu – nur ist sie meist aus dem Mund der Lobbyisten der Unterhaltungsindustrie zu hören. Von Zeitungsverlegern, die nach neuen Einnahmequellen suchen, von besitzstandsversessenen Plattenfirmen, von irritierten Buchverlagen oder von digital neu erweckten Feuilletonisten. Doch neuerdings sind es nicht nur die Dinosaurier der alten Ordnung, die das System der freien Netzkultur unter Beschuss nehmen, sondern die Kritik wird aus der Mitte der Netzaffinen laut, von ehemaligen Idealisten, Anhängern der freien Netzkultur, die von der aktuellen digitalen Realität enttäuscht sind oder sich von ihr eingeholt fühlen.
Netzpionier Lanier hält einen Vorschlag für digitale Vergütung bereit, der ebenfalls arg gestrig klingt: Jede Datei soll im Netz ein einziges Mal bereitgestellt werden – und wer sie herunterlädt, soll Kleinstbeträge über ein „universelles Mikrobezahlsystem“ leisten. Große Hersteller wie Apple sollen davon nicht profitieren. Also eine Art öffentlich organisiertes iTunes? Kritiker halten das für kaum realisierbar.
■ Jahrgang 1960, kritisiert den von ihm ausgemachten „digitalen Maoismus.“ Damit meint er den Glauben, dass die Intelligenz von vielen mehr vermag als die eines Einzelnen. So kann etwa beim Internetlexikon Wikipedia prinzipiell jeder an Artikeln mitschreiben. Außerdem greift er in seinem neuen Buch „You are not a Gadget“ auch alle diejenigen an, die für kostenlose Inhalte im Internet streiten. Webseite: jaronlanier.com
Sundes Vorschlag hingegen trifft in Netzkreisen auf viel Zustimmung – weil er eben kein Preisschild auf digitale Kulturgüter pappen will, sondern auf ein freiwilliges Unterstützungsmodell baut, bei dem für das eine bezahlt, anderes aber weiter kostenlos abgegriffen werden kann.
Matteo Pasquinelli will fundamentaler ansetzen. Früher war er Redakteur beim Onlinenetzwerks „Rekombinat“, wo er seit den frühen Nullerjahren über Netz, Aktivismus und Kunst nachdachte, heute forscht er und schreibt Bücher. Auf dem Berliner Netzkulturgipfel Transmediale provozierte er das netzaffine Publikum mit seiner Theorie vom „Neofeudalismus“: Kreatives Digitalprekariat werde, gerade in Städten wie Berlin, ausgebeutet und leistet Frondienste an die großen Webseitenbetreiber wie Google und Facebook oder Hardwaregiganten wie Apple. „Ich wollte mit dem Begriff auf einen Bruch im vorherrschenden Populismus hinweisen, der digitale Kooperationen als etwas feiert, das unabhängig ist von der materiellen Wirtschaft und den Marktgesetzen“, sagt er. Und meint, dass gravierende Abhängigkeiten bestünden.
Als Alternativprojekte wie die linke Nachrichtenseite indymedia auftauchten, setzte Pasquinelli große Hoffnungen in die demokratische Kraft des Internets. Heute ist auch er enttäuscht: „Diese freie Kultur, die wir produzieren, kann sehr leicht intellektuelles Eigentum oder symbolisches Kapital für das Geschäft oder die Hardware von jemand anderem werden“, sagt er. Will sagen: Je mehr Daten in soziale Netzwerke eingespeist werden, je mehr Songs auf iTunes verfügbar sind, desto mehr verdienen die Firmen, die Abspielgeräte verkaufen, desto wertvoller werden Dienste, die kostenfrei mit Daten und Kulturgütern befüllt werden.
■ ist ein linker Theoretiker, Autor, Kurator und Forscher an der Queen Mary University of London. Früher, Anfang der Nullerjahre, hoffte er, das Netz würde mit Seiten wie Indymedia dazu beitragen, Kommunikation demokratischer zu machen. Heute sieht er sich eines Besseren belehrt, nachzulesen auf matteopasquinelli.com und in seinen Büchern – etwa seinem jüngsten Werk „Animal Spirits: A Bestiary of the Commons“.
So sei eine Bestie entstanden, meint Pasquinelli, die die Netzarbeiter unverdrossen mit ihrem freien Content füttern – und sich dann unter dem Label der digitalen Bohemiens selbst feiern und ganze Innenstädte gentrifizieren. „Es würde schon genügen, wenn man aufhören würde, Free Culture als Modell für den kulturellen Sektor zu feiern“, sagt er, wenn man ihn nach einem Lösungsansatz fragt. Ebenso sei es eine Illusion, die Kreativindustrie als Lösung für die wirtschaftlichen und sozialen Probleme von armen Städten wie Berlin zu betrachten.
Michelle Thorne, internationale Projektmanagerin bei Creative Commons, mag die Kritikpunkte von Lanier, Sunde und Pasquinelli nicht pauschal als falsch bezeichnen, sagt aber auch: Das Free-Culture-Modell bietet Künstlern eine Möglichkeit, ihre Werke digital zu verbreiten. Creative Commons versucht seit neun Jahren Regeln für den Vertreib kultureller Inhalte im Internet zu etablieren. Thorne sagt, ihre Organisation habe „immer schon eine faire Vergütung für Künstler ermöglicht, die danach gesucht haben“. Musiker wie Nine Inch Nails würden beweisen, dass man mit freier Kultur im Netz Geld verdienen könne. Ebenso wie die Filmemacherin Nina Parley, die mit einem im Internet frei verfügbaren Cartoon 55.000 Dollar verdiente.
„Freie Kultur“, sagt Thorne, „ist ein Ökosystem, in dem kreative Arbeiten geteilt werden und aufeinander aufbauen, während immer die Rechte und Wünsche des Urhebers respektiert werden.“ Und weist auch auf einen entscheidenden Unterschied hin, der in der Debatte um freie Netzkultur gern im Eifer der Debatte unterschlagen wird: „Das Wort ‚frei‘ meint im Zusammenhang mit freier Kultur die Freiheit des Urhebers, Inhalte zu verbreiten, wie er es für richtig hält – und nicht automatisch, dass diese nichts kosten.“
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