: Die wahre, Ware Kunst
AUSSTELLUNG Die Weserburg zeigt die zweite Werkschau von Frank Gerritz und präsentiert dabei doch einen ganz anderen Künstler, vor allem aber einen bissigen Kommentator
von Jan Zier
Es ist nicht der Frank Gerritz, wie man ihn kennt. Das heißt: Wenn man ihn überhaupt kennt. Bei Wikipedia etwa sucht man den Künstler aus Hamburg bislang vergebens, und weder der Spiegel noch die Frankfurter Allgemeine noch die Zeit fanden ihn bislang eines größeren Textes für würdig. Zu unrecht.
Die Weserburg widmete dem in den Vereinigten Staaten seit langem rezipierten Gerritz schon vor zwei Jahren eine umfassende Retrospektive – es war seinerzeit dessen erste große Museumsausstellung. Sie zeigte Gerritz genau als jenen „letzten Hardliner der Abstraktion“, als den ihn der amerikanische Kunstkritiker Donald Kuspit einst bezeichnete. Als Minimalisten, den man beispielsweise mit Sol LeWitt verbindet, dessen Skulptur „Three Triangles“ auf der Weserspitze steht, vis à vis der Weserburg.
In seiner aktuellen Bremer Ausstellung „Invitationals | Auctions“ indes zeugen nur mehr zwei der insgesamt gut 100 Exponate von jenem, dem anderen Frank Gerritz. Jenem, ja, Bildhauer, den man so richtig weder Maler noch Zeichner nennen kann, obwohl seine ebenso minimalistischen wie raumgreifenden, auf ganz wenige, stets wiederkehrende Formen wie Farben reduzierten Werke genau das sind. Auf den ersten Blick jedenfalls: Malerei, Zeichnung. Aufgetragen wahlweise mit schwarzem Paintstick auf eloxiertem Aluminium oder aber mit 9B-weichem Bleistift auf mitteldichte Holzfaserplatte, kurz MDF genannt.
„Invitationals | Auctions“ besticht, weil es jenes scheinbar perfektionistisch strenge, aber eben auch formalen Konventionen verhaftete Prinzip aufbricht – bevor es in steril-dekorativer Langeweile zu ersticken droht. Gerritz bedient sich hier der Marketing-Drucksachen aus dem aktuellen Kunstbetrieb: Einladungskarten zu Ausstellungen und Cover von Auktionskatalogen, also kunsthistorisch betrachtet absolut minderwertiger Ware. Er überarbeitet sie mit dem vertrauten schwarzen Paintstick und seinen nur scheinbar neutralen geometrischen Formen. Mit diesen schlichten Eingriffen – da muss man Weserburg-Direktor Carsten Ahrens zustimmen – „rockt er die Bildwelten der Kunst unserer Zeit“.
Und zwar nicht, weil er das durchdesignte Massenprodukt zum Kunstwerk erhebt. Sondern weil er dem Kunstmarkt – mal spielerisch, mal mit bissiger Ironie – den Spiegel vorhält. Und seine durchweg renommierten Kollegen, also vor allem jene, die international zu absurden Höchstpreisen gehandelt werden, auf ihren kommerziellen Markenkern, neudeutsch: ihre Brands reduziert. Ein Gerhard Richter, ein Roy Lichtenstein wird von ihm mit Leichtigkeit ikonisiert. Und damit auf die Oberflächlichkeit einer bloßen Ware zurückgeführt, deren Wert sich an den Geldbeträgen und Besucherzahlen bemisst, die sie zu erzielen vermag.
Gerritz gelingt dies, ohne dabei andere KünstlerInnen bloßzustellen oder gar zu diffamieren. Denn er kommentiert oder kritisiert die Werke nicht, sondern er verschafft ihnen eine zweite, tiefere Ebene. Alles andere wäre auch unglaubwürdig: Er ist ja auch selbst einer von ihnen – seine Werke finden sich heute in bedeutenden Privatsammlungen, das Portal www.artfacts.net listet ihn unter weltweit fast 85.000 KünstlerInnen inzwischen schon auf Platz 3.879. Vor drei Jahren noch kam er mühsam unter die Top 10.000.
Auf Platz eins steht dort übrigens Andy Warhol, den Gerritz als „einen der größten Diebe der Welt“ bezeichnet – und bei dem er sich selbst vielfach bedient, man könnte aber auch sagen: an dem er sich abarbeitet. Etwa an seinen 2004 bei der New Yorker Galerie Van de Weghe Fine Arts gezeigten schlichten „Dollar Signs“. Gerritz füllt den Ausstellungsraum mit einer Black Box, Warhols Werke existieren nur noch als Spiegelungen ihrer Selbst.
An anderer Stelle denkt er Fred Sandbeck weiter, jenen Minimal-Skulpturalisten, der für seine Installationen farbige Acrylfäden zu geometrischen Figuren aufzuspannen pflegte. Gerritz gibt ihnen jene Fläche, die man sich sonst nur vorstellt, zugleich die raumfüllende Wuchtigkeit, die Sandbeck gerade vermeidet. Aber er bricht sie im selben Moment auch wieder.
Doch – und das ist das Problem dieser ansonsten ganz wunderbaren Ausstellung – der Witz jener Werke erschließt sich meist nur dem, der in der zeitgenössischen Kunst bewandert ist. Und die Originale kennt.
11. April bis 30. Mai in der Weserburg, Museum für moderne Kunst. Katalog: 128 Seiten, 90 Abbildungen, 20 Euro
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