: Europa von unten
INSTALLATION Michaela Melián lässt im K’ – Zentrum Aktuelle Kunst in Bremen die Eurovisionshymne spielen. „Hausmusik“ ist weit mehr als ein Update von John Cage
VON ANDREAS SCHNELL
Wer in der alten Bundesrepublik Teile seines Lebens vor dem Fernseher verbrachte, kann es in und auswendig, das Präludium des „Te Deum“ von Marc-Antoine Charpentier – auch wenn er oder sie es nicht weiß. Nun gut, es ist auch nicht das ganze Präludium, nur das Hauptmotiv, das seither als Erkennungsmelodie der von den Europäischen Sendeanstalten gemeinsam produzierten Sendungen in Hörfunk und Fernsehen vor Gemeinschaftsproduktionen ausgestrahlt wurde – und wird. Aber dazu später mehr.
Was ja schon einmal interessant ist: ein Te Deum als Fanfare für ein demokratisches Europa. Ein weiteres in diesem Kontext geradezu pikantes Detail hat Michaela Melián, die am Freitag ihre Ausstellung „Hausmusik“ im K’ – Zentrum Aktuelle Kunst in Bremen präsentiert, auch noch über diese berühmten Takte herausgefunden: Er war am Hof Ludwigs XIV. als Musiklehrer angestellt, wobei es zu seinen Obliegenheiten gehörte, zu feierlichen Anlässen zu komponieren.
Schneller Vorlauf: Im Jahr 1982 realisiert John Cage im Auftrag von Radio Bremen im Überseemuseum mit fast 800 Kindern und Jugendlichen das Projekt „A House Full Of Music“, das auch in den Senderaum der Eurovision übertragen wird und – natürlich mit „Te deum“ vorneweg – gesendet. Aber es taucht auch im„House Full Of Music“ noch einmal auf: Melián entdeckte am Ende der Produktion das Motiv noch einmal, vorgetragen von einem Blockflötenensemble.
Cages „House Full Of Music“ und damit die Eurovisions-Fanfare wurden für Melián zum Ausgangspunkt einer Installation, die das Herzstück ihrer aktuellen Ausstellung bildet. Wobei deren Titel „Hausmusik“ gleich mehrfach codiert ist: Weil ein Projekt wie das „House Full Of Music“ heute ja geradezu surrealistisch erscheinen muss, es weder ästhetisch noch ökonomisch denkbar wäre, weil kein Radiosender, kein privater Sponsor oder ein staatliches Institut die dazugehörigen Mittel für so etwas bereitstellte, galt es, sich zu beschränken.
Statt mit Musikern arbeitet die Künstlerin mit einem Aufbau, der ein wenig an das Bremer Lautsprecher-Orchester erinnert, das kürzlich in Bremen Premiere hatte, und spielte die komplette Musik selbst ein. Wo bei Cage Hunderte von Musikanten und Musikantinnen verschiedene Werke von Bach bis Tango spielten, die vom Meister selbst live abgemischt wurden, sodass im Radio schließlich etwas ganz anderes zu hören war als am Ort des Geschehens, gibt es hier ausschließlich die wenigen, berühmten Te-Deum-Takte zu hören. Und das auch nicht live, sondern aus der Konserve, einmal übrigens gar von einem Blockflötenquartett eingespielt – viermal Michaela Melián.
Was einst strahlend eben auch Cages „House Full Of Music“ ankündigte und heute beispielsweise den berüchtigen Song Contest, kündigt hier allerdings nichts an, ist ein Jingle ohne direkten Bezug. Aber halt! Wie war das mit Europa? Vielleicht wird hier ein ästhetischer Weg zu einem geradezu utopischen Moment frei: Anstelle eines allmächtigen Klangregisseurs darf im K’ nämlich im Prinzip jeder und jede an die Regler, die steuern, welche Varianten der Fanfare in welchen Mischungsverhältnissen zu hören sind, vom Bass-Solo über das Blöckflötenquartett oder eine reine Schlagzeugversion bis hin zur einer Jimi-Hendrix-Dekonstruktion. Oder eben: alles oder nichts.
Die Arbeit realisiert sich damit erst durch das Publikum, das auch ohne musikalische Vorkenntnisse aus dem synchronisierten Spuren-Konvolut seine Version der Fanfare kreieren kann. Zugleich ist diese „Eurovision“ nie vollendet. Fragt sich nur, wann sie in ihrer ewigen Wiederkehr zu nerven beginnt.
■ Bis 11. 10., K’ – Zentrum Aktuelle Kunst, Alexanderstr. 9b, www.k-strich.de
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