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Merkel, von Fachpolitikern gestörtKOMMENTAR VON BETTINA GAUS

Angela Merkel findet, dass es Projekte gibt, die „zu groß“ sind für „Fachpolitiker“. Ein großer Teil der Öffentlichkeit wird ihr entzückt applaudieren, weil er sich damit in seinem Ressentiment gegen „die Politiker“ bestätigt fühlt, die einer allseits wünschenswerten Lösung von Problemen nur im Wege stehen. Wenn in einer Demokratie die Zustimmung zu dieser Position kontinuierlich wächst, dann ist das bedenklich. Wenn sogar eine Bundeskanzlerin diese Position vertritt, gibt es Anlass, die Feuerglocke zu läuten.

Sobald ein Ministerium neu besetzt wird, findet sich fast immer jemand, der kritisch anmerkt, der oder die Neue verstünde doch gar nichts von diesem Fachgebiet und sei deshalb für den entsprechenden Posten ungeeignet. Das zeugt von einem fundamentalen Missverständnis. In einer Demokratie sind für die Details der Sachfragen die Referenten zuständig, auch die Staatssekretäre. Ministerinnen und Minister haben eine andere Aufgabe: Sie sollen die große Linie einer Regierung in alltagstaugliche Politik übersetzen. Die Betonung liegt auf Politik. Das Ministeramt ist ein politisches Amt. Natürlich beinhaltet das auch die Fähigkeit, auf die jeweiligen Egoismen eines Ressorts im Interesse des Großen und Ganzen im Bedarfsfall zu verzichten.

Wer meint, Ministerinnen und Minister seien lediglich gut genug für Zuarbeit und sollten die großen Entscheidungen anderen überlassen, stärkt nicht etwa die Position des Parlaments oder gar die der Bevölkerung. Sondern lediglich die Macht derjenigen, die jeweils an der Spitze stehen. Er plädiert somit im Kern für eine autoritäre Regierungsform.

Die Tatsache, dass Justizminister traditionell stets Juristen sind, widerspricht diesem Grundsatz übrigens nicht. Im Gegenteil. Es ist sinnvoll, wenn die Spitze wenigstens versteht, worüber die untergeordnete Ebene eigentlich redet. Die Juristen haben eine eigene Sprache entwickelt. Das Justizministerium gilt traditionell dennoch nicht als Kernressort, obwohl fast alle erfolgreichen politischen Anregungen in Gesetze gegossen werden.

Als entscheidend aber galt bislang die Fachkompetenz, nicht allein die Fähigkeit zum Dolmetschen. Jedenfalls in der vormerkelianischen Zeit. SEITE 2

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