piwik no script img

Energie aus Delmenhorst

Was geht in der Provinz? Wenig – würde man sagen. Aber dann gibt es doch Persönlichkeiten, die anecken, weil sie ungewöhnliche Ideen haben. Eva Sassen beispielweise, die in Delmenhorst für das Amt der Oberbürgermeisterin kandidiert

Wenn es nach Sassen ginge, stünde auf dem Wahlzettel im Herbst schlicht und ergreifend der Vorname

von Benno Schirrmeister

Dies ist eine Wahlempfehlung. Sie lautet ganz schlicht: Bürger von Delmenhorst, wählt Eva Sassen. Und schon könnte der Text zu Ende sein. Aber das wäre etwas mager, und es gibt vielleicht auch LeserInnen, die von Delmenhorsts Existenz nur durch das Lied der Band „Element of Crime“ erfahren haben. Und die würden sich fragen: Was soll mir dieses? Und wer ist Eva Sassen? Und was heißt hier überhaupt: Delmenhorst.

Delmenhorst in Niedersachsen – das könnte auch Diepholz sein oder Kaltenkirchen, obwohl da im Herbst keine Kommunalwahlen sind. Ein Mittelzentrum im Norden halt, von dem man sagt, wenn man auch mal was Nettes sagen will: Die Bahnverbindungen sind aber gut. Bloß: Eva Sassen lebt nicht in Kaltenkirchen. Und sie kann, grauer Wollmantel, das Klapprad an der Seite, zügigen Schritts durch die City Delmenhorsts spazieren und dabei davon reden, dass beispielsweise die Behinderten „hier viel stärker ihre Anliegen vertreten als etwa in Oldenburg“.

Sassen weiß, wo jemand etwas will, und wo ein Eisdielen-Besitzer einen eigenen architektonischen Entwurf vorgelegt hat, als Konkurrenz zum nächsten geplanten 08/15-Investoren-Klotz, vis-à-vis zum Rathaus, den die Verwaltung favorisiert, na rat’ mal, warum. Färbt aber nicht schön, benennt sarkastisch auch die Bausünden. Und plötzlich scheint das trübe Städtchen so agil und so bewegt. Würde Delmenhorst leben?

Geboren ist Sassen dort nicht, sondern in Koblenz. Später gehörte sie dann zu den ersten Schülerinnen der Bielefelder Laborschule. Das ist längst die bekannteste Versuchsschule Deutschlands, das pädagogische Konzept betont: soziale Kompetenz. „Damals“, sagt Sassen, „war nicht mal klar, ob man nachher mit Abi oder völlig ohne Abschluss dasteht.“ Wer kämpft, gewinnt: „Am Ende bin ich mit Vordiplom rausgekommen.“ Danach Bio-Studium und Bäckerlehre in Oldenburg. Und vor sechs Jahren: Umzug nach Delmenhorst, wegen des Jobs als Agenda-Beauftragte. Jetzt kandidiert sie fürs Amt der Oberbürgermeisterin. Unabhängig. Chancenlos? „Nein, das glaube ich nicht.“ Da kann man geteilter Meinung sein. Sonst aber hat Eva Sassen eigentlich immer Recht. Das ist vielleicht ein Problem. Männern fällt es nämlich häufig schwer, das zuzugeben. Und Politik ist ein Ressort für Leute mit furchtbar dicken Eiern.

Eva Sassen hat Ideen. Geradezu Furcht einflößend viele Ideen. Das nervt. Das ist doch auch überhaupt nicht nötig. Der CDU-Kandidat Heinz Stoffels zum Beispiel wirbt für sich einfach damit, dass er „als Oberbürgermeister vieles anpacken und trotz der Finanzlage etwas bewegen“ möchte. Punkt und Schluss. Vieles anpacken – etwas bewegen. Reicht doch.

Aber Sassen ist da gnadenlos. Kommt mit ihren Ideen, und fängt einfach an, die umzusetzen. Schon lange. Hartz IV-Demos – klar. Ein Speakers-Corner in Delmenhorst – soll’s wieder geben, wenn das Wetter besser ist. Beim Irak-Krieg hat sie ein wöchentliches Happening veranstaltet, Scherbengericht hieß das, auf dem Markt: Links ein Kreidekreis pro, rechts ein Kreidekreis contra, wer eine Tonscherbe platzieren wollte, musste an der Flüstertüte etwas sagen. Und jetzt auch noch diese Gas-Geschichte!

Erst hat sie mit dem „Bürgerforum/Neue Wege“ den Widerstand gegen die Preiserhöhungen organisiert. Da war man beim Gasversorger gar nicht froh und vielleicht auch etwas überfordert und hat mit einer Strafanzeige wegen Beleidigung der Stadtwerke reagiert. Aber diese Sassen – treibt, statt zu kuschen, das Spiel einfach weiter. Und profitiert davon, dass sie sich mit so schrecklichen Sachen wie dem Energiewirtschaftsgesetz auskennt und dem EU-Recht. Stachelt Leute an. Gründet mit denen eine Gas-Genossenschaft. Die erste bundesweit. Einfach so. Im beschaulichen Delmenhorst.

Eva Sassen redet schnell, denkt schneller, und sie erwartet auch noch, dass man was kapiert. Als sie ihre Kandidatur bekannt gab, hatte sie eine Schale mit Äpfeln auf den Tisch gestellt. „Hat keiner verstanden“, sagt sie. Verstanden? Ach so, Eva – Äpfel, mein Gott, klar. In der Lokalpresse stand: „In die Oberbürgermeisterwahl kommt Farbe.“ Und dass sie Bürgerbeteiligung wolle. Was stimmt. Manchem Leserbriefschreiber war das doch sehr arg. Wo man denn da hinkomme, wenn die Bürger alles selbst entscheiden?! Und noch so’n Ding: Wenn es nach Sassen ginge, stünde auf dem Wahlzettel im Herbst schlicht und ergreifend der Vorname, „aber das ging nicht“. Wär’ ja auch noch schöner. Und würde andere benachteiligen. Zum Beispiel heißt der SPD-Kandidat Patrick de la Lanne. Das klingt doch – Zucker! Einfach bloß Patrick, da wüsste doch niemand, wer das sein soll. Schließlich hat die Partei den geeigneten Kandidaten deutschlandweit per Ausschreibung gesucht. Mit Bewerbungsfrist.

„Das große Thema ist Nachhaltigkeit“, sagt Sassen. Nachhaltigkeit ist längst eine Mainstream-Vokabel. Oft ist die Bedeutung prekär. Sassen hat, noch in Oldenburg, die Biobrot-Kooperative Störtebäcker mitbegründet. Die ist mittlerweile eine GmbH mit Laden und Stehcafé, und der Verkaufswagen bedient die Märkte in Oldenburg, den in Wilhelmshaven und den in Varel. 2001 hat sie zu den Initiatorinnen der Windfang-Genossenschaft gehört, der ersten Frauen-Energie-Gemeinschaft in Deutschland. Die hat bisher 26,3 Millionen Kilowattstunden Strom ins Netz eingespeist. Mit der Zeitschrift „Koryphäe – Medium für feministische Naturwissenschaft und Technik“ hat sie aufgehört, als sie in Delmenhorst anfing. Nicht ohne eine Nachfolgerin zu suchen: Die Redaktionsanschrift lautet jetzt Laurenzgasse in Wien und die Nummer 39 ist gerade in Vorbereitung. Die Hefte 1 bis 28 sind zwischen 1986 und 2000 in Oldenburg erschienen, bis zu 90 Seiten stark, die Redaktionsgröße war schwankend: Mal stehen fünf Namen im Impressum. Mal nur einer. Der von Eva Sassen.

Sie ist leicht nervös, was ihr Aussehen betrifft, wegen der Fotos. Ob sie nicht doch besser hätte zum Frisör gehen sollen. „Die sind hier doch immer so pingelig.“ In puncto Bürgerlichkeit gerät Sassen ins Hintertreffen. De la Lanne zum Beispiel hat drei Kinder, eine Gattin und ist Wirtschaftsförderer in Emden. Der ehrliche Stoffels, der behauptet, die Familie sei „das Fundament unserer Gesellschaft“, hat ein Kind und, um im Bild zu bleiben, einen Riss im Fundament. Aber: Er ist Polizeirat.

Sassen hingegen…! Also, Sassens Tochter ist erwachsen und längst aus dem Haus. Sie hat ihr Kind bewusst mitten im Studium bekommen, in einer WG, zu der auch eine Sterilisations-Männergruppe gehörte. Was sie ist? Na, ein Phänomen. Eine Wucht. Ach so, wenn man damit meint, beruflich – bitt’schön: Als Wünschelrutengängerin praktiziert sie nicht mehr. Drei Ich-AGs hat sie angemeldet. Wohngeld beantragt sie nicht, weil ihr die Komplettdurchleuchtung nicht behagt. Frau Sassen lässt sich halt nicht knicken und nicht bügeln. So ist das mit Heldinnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen