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„Ich sehne mich danach“

SPD Der Bundestagskandidat in Halle an der Saale, Karamba Diaby, will endlich über Inhalte reden. Ein Gespräch über Willy Brandt, Chancengerechtigkeit und Kleingärten

Karamba Diaby

Jetzt: 52, ist SPD-Bundestagskandidat in Sachsen-Anhalt und lebt in Halle (Saale). Er arbeitet als Referent der Landesintegrationsbeauftragten und ist Stadtrat in Halle.

Früher: Er wurde 1961 im Senegal geboren und wuchs dort nach dem frühen Tod seiner Eltern bei seiner Schwester auf. Diaby studierte in der DDR und promovierte 1996 als Chemiker und Geoökologe.

INTERVIEW ANJA MAIER

taz: Herr Diaby, 2008 sind Sie in die SPD eingetreten. Warum?

Karamba Diaby: Die Landes-SPD hatte mich als Parteilosen in die Arbeitsgruppe Rechtsextremismus einbezogen, da habe ich die Leute kennen- und schätzen gelernt. Und am 18. Dezember 2007, dem Geburtstag von Willy Brandt, habe ich im Fernsehen ein Porträt über ihn gesehen. Das hat mich so fasziniert, dass ich dachte: Das ist dein Mann, deine Partei. Noch in derselben Nacht habe ich mich online bei der SPD gemeldet, und wenig später war ich Mitglied. Romantisch, nicht wahr?

Sie sind deutscher Staatsbürger. Warum haben Sie sich dafür entschieden?

Ich habe die deutsche Staatsbürgerschaft zunächst nicht in Betracht gezogen, weil ich dafür meine senegalesische hätte ablegen müssen. Mich nervte diese Argumentation der Konservativen, die meinten, deutsch zu sein sei das Wichtigste auf der Welt. Das hatte einen unangenehmen nationalistischen Unterton. Überzeugt, wenn man das so sagen kann, hat mich dann Roland Koch, der damalige hessische CDU-Ministerpräsident. Er hat 1999 diese Unterschriftensammlung gegen die doppelte Staatsbürgerschaft initiiert. Ich dachte: Dieser Mann hat solch einen Einfluss, nur weil er wählen und gewählt werden kann, und du musst ihm dabei zugucken? Dem zeige ich, dass ich das auch kann.

Wenn am 22. September alles glattgeht, werden Sie SPD-Bundestagsabgeordneter. Warum wird das von manchen als Sensation angesehen?

Das hat weniger mit meiner Person zu tun, aber viel mit dem Punkt, an dem Deutschland ist, wenn es um die politische Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund geht. Diese Erkenntnis führt dazu, dass mittlerweile selbst die internationale Presse über meine Kandidatur berichtet.

Stört es Sie, dass Ihre Hautfarbe so oft im Fokus steht?

Bisweilen stört mich das, ja. Ich spreche zum Beispiel heute nicht mit Ihnen als ein Schwarzer. Sie sprechen doch wohl mit mir als Kandidat für den Deutschen Bundestag. Dann erwarte ich, dass wir uns darauf konzentrieren, dass unser Thema die Wahl ist und Sie mich behandeln wie einen normalen Kandidaten, der im Parlament über Inhalte streiten möchte. Ich sehne mich danach.

Was sind denn Ihre inhaltlichen Schwerpunkte?

Mir sind drei Dinge wichtig. Erstens die Chancengerechtigkeit im Bildungsbereich. Zweitens das Thema Arbeit und Soziales. Und schließlich die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West.

Warum gerade diese Themen?

Ich selbst bin ja ein Produkt der Chancengerechtigkeit. Ich bin Waisenkind. Als ich drei Monate alt war, ist meine Mutter gestorben, als ich sechs Jahre alt war, mein Vater. Ich habe die Solidarität der Familie meiner Schwester genossen, ich durfte im Senegal Abitur machen und ging später in die DDR zum Studium. Nach meiner Promotion 1996 habe ich in Halle in Arbeitsmarkt- und Integrationsprojekten gearbeitet. Da habe ich erlebt: Es gibt so viele Menschen, die ihr Geld selbst verdienen wollen, um ein würdiges Leben führen zu können. Die müssen wir dringend abholen. Und jetzt, im Wahlkampf, werde ich auch ständig auf die Rentenfrage angesprochen. Diese Unterscheidung in Ost und West ist eine Demütigung der Lebensleistungen von Menschen. Mir ist bewusst, dass das ein komplexes Thema ist. Aber ich will das anpacken.

Was erwarten Sie, wo liegt die größte Herausforderung an Sie als Bundestagsabgeordneten?

Was ich noch nicht einschätzen kann, ist, wie stark der Lobbyismus im Bundestag ist und wie er sich im Alltag auswirkt. Ich will meinen Prinzipien treu bleiben. Das andere sind die sehr hohen Erwartungen an mich persönlich. Die einen sagen: Toll, einen wie dich brauchen wir im Parlament, du kannst das aufmischen. Die anderen sind Menschen mit Migrationshintergrund. Ich spüre deren Hoffnung, dass sich mit mir schlagartig vieles ändert. Das ist eine sehr hohe Erwartung. Denn meine Stimme wäre nur eine unter Hunderten. Ein Anfang.

Sie haben 1996 über die Schwermetallbelastung in Hallenser Kleingärten promoviert. Haben Sie eigentlich selbst einen Kleingarten?

Nein, leider nicht. Aber davon möchten die taz-Leser sicher nichts lesen.

Wenn Sie sich da mal nicht täuschen.

Ach tatsächlich? Ich stoße bei dem Thema regelmäßig auf Vorurteile. Also, das war so: Nach der Wende sollten in Halle viele alte Kleingärten in Bauland umgewidmet werden. Als Grund wurde die Belastung der Böden durch die umliegenden Chemiebetriebe angegeben. Ich habe das untersucht und festgestellt, dass die dominante Belastung atmogen war, also aus der Luft kam. Und die ist nicht so gefährlich wie die Bodenbelastung.

Sie sind also der Held der Laubenpieper?

Das war für die Kleingärtner natürlich ein tolles Ergebnis, sie durften bleiben. Und für mich war das Großartige, dass ich durch diese Arbeit die Deutschen sehr gut kennengelernt habe. Die Gärtner waren neugierig. Was hast du nur für einen niedlichen Namen, haben sie gefragt. Hast du eine Blondine als Frau? So was. Ich habe diese Fragen höflich beantwortet. Und dann habe ich zurückgefragt: Was hast du gemacht in der DDR? Was wird mit deiner Rente? Dieses Kennenlernen hat mich beeindruckt und bewegt. Vereine haben mir später angeboten, bei ihnen einen Garten zu pachten. Meine Frau hat gesagt: Nee, da mache ich nicht mit. Ich sitze nicht am Wochenende mit den Kindern im Kleingarten, und du gehst schwatzen.

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