OFF-KINO: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Für die Welt des Kinos bedeutete der Fall der Berliner Mauer einen echten Verlust. Schließlich war die Schnittkante zwischen den Systemen von West und Ost nirgends grafisch so deutlich sichtbar (und damit auch so einfach und überzeugend darzustellen) wie in der damaligen Mauerstadt. Dies kam vor allem dem internationalen Agentenfilm zupass, der Berlin zur unbestrittenen „Hauptstadt der Spione“ machte, wie die kleine Retrospektive heißt, die im Rahmen des „Achtung Berlin“-Festivals zu sehen ist. Auch der britische Agent Harry Palmer (Michael Caine) wird in Guy Hamiltons Thriller „Finale in Berlin“ (1966) eben dorthin geschickt, um die Flucht eines sowjetischen Offiziers in den Westen vorzubereiten. Die Figur des Harry Palmer war im britischen Kino als Antipode zum weltgewandten James Bond gedacht: kurzsichtig und stoisch geht Palmer seinem Job nach, ohne Begeisterung und Hurra-Patriotismus, dafür mit Ironie und einer gewissen Renitenz im Umgang mit Vorgesetzten. Im konkreten Fall hat der russische Oberst natürlich seine ganz eigenen Pläne und überhaupt kochen alle Beteiligten ihr eigenes Süppchen: Niemand ist, was er (oder sie) vorgibt zu sein. Wie sagte mein Uni-Dozent, der bekannte Filmkritiker Norbert Grob, immer so schön: Der Spionagefilm wird erst dann so richtig gut, wenn man als Zuschauer kaum mehr versteht, worum es eigentlich geht. (18. 4., Babylon Mitte, 19. 4., Passage)
Einen bundesweiten Kinostart gab es für den Computeranimationsfilm „#9“ in Deutschland nicht, denn einmal mehr kam die (leider berechtigte) Überlegung des Verleihs zum Tragen, dass Trickfilme für Erwachsene hier nun einmal kein Publikum finden. Dabei hatte der Kurzfilm „9“, dessen Thema der amerikanische Regisseur Shane Acker hier nun auf Spielfilmlänge gebracht hat, 2006 sogar eine Oscarnominierung erhalten – was ihm zu so bekannten Produzenten wie Tim Burton and Timur Bekmambetov verhalf. In „#9“ erzählt Acker eine Endzeit-SF-Geschichte, in der neun stoffpuppenartige Wesen auf der entvölkerten Erde gegen gnadenlose Maschinen kämpfen, die einst von einem totalitären Regime eingesetzt wurden, ehe sie schließlich die ganze Menschheit ausrotteten. Die Philosophie des Film ist etwas esoterisch-verschwurbelt (in den Maschinen steckt der Intellekt eines Erfinders, in den Stoffpuppen hingegen seine Seele) – doch falls man sich daran nicht stört, bietet „#9“ ein attraktives postapokalyptisches Design und eine Reihe spannender Actionsequenzen. (OF, 15.–21. 4., Brotfabrik)
Revolution und Striptease, Musikkomödie und Abenteuerparodie: Louis Malles eklektizistische Farce „Viva Maria!“ (1965) gehört zu den vergnüglichsten Filmen aus der Zeit der Nouvelle Vague. Jeanne Moreau und Brigitte Bardot begeben sich als französische Schauspielerin Maria I und irische Anarchistin Maria II auf eine Varieté-Tour durch Mittelamerika und finden sich unversehens als Anführerinnen einer blutigen Revolte gegen fiese Machos und grausame Diktatoren wieder. So macht Anarchie Spaß. Deshalb: „Viva Maria!“ (15. 4., Lichtblick) LARS PENNING
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