: „Die Medien reproduzieren Klischees“
Mit ihrem Projekt „The Iraqi Equation“ widmete sich die französische Kuratorin Catherine David der Kunstszene im Irak. Ein Gespräch über den hohen Blutzoll unter Künstlern und Intellektuellen im Irak sowie die Kritik an ihrem Projekt
taz: Frau David, Sie haben sich mit Ihrem Projekt „Iraqi Equation“ der Kunstszene im Irak gewidmet. Kann die im Bürgerkrieg überhaupt existieren?
Catherine David: Derzeit ist es schwierig, im Irak kulturelle Arbeit zu leisten: Ausstellungen sind größtenteils geschlossen und das Universitätswesen funktioniert nicht normal. Darüber hinaus sind im Irak seit der US-Invasion mehr als 3.000 Akademiker, Professoren, Künstler und andere Kulturschaffende getötet worden – neben der Zahl an Zivilisten, die noch höher liegt. Erst vor einigen Wochen hat es deshalb eine öffentliche Kampagne gegen dieses tägliche Massaker an Intellektuellen gegeben.
Von wem ging die aus?
Viele Menschen sind aufgestanden und haben gesagt, dass diese Vernichtung der intellektuellen Basis des Iraks ein Ende haben muss. Diese Entwicklung ist selbst dem Brüsseler Tribunal nicht entgangen.
Wie haben Sie sich der Kunstszene des Irak genähert?
Ich bin selbst noch nicht im Irak gewesen. Was ich über die Kunstszene weiß, habe ich von außen wahrgenommen – über Filme, Texte, Fotografien und Gespräche. Aber meiner Meinung nach gibt es irakische Kunst ebenso wenig, wie es italienische oder französische Kunst gibt.
Gibt es Kontakt zwischen der Kunstszene im Irak und irakischen Künstlern im Exil?
Das hängt von der jeweiligen Generation ab. Viele Künstler, mit denen ich seit langer Zeit zusammenarbeite, haben den Irak verlassen. Diejenigen, die geblieben sind oder die zwischen dem Irak und dem Rest der Welt pendeln, versuchen, sich mit der prekären Lage zu arrangieren. Ich stehe im E-Mail-Kontakt mit ihnen. Aber sie können kaum künstlerisch arbeiten, weil sie mit dem eigenen Überleben beschäftigt sind. Selbst Wasser und Elektrizität sind knapp geworden im Irak.
Ist es irakischen Künstlern angesichts der aktuellen Situation in ihrem Heimatland überhaupt möglich, sich nicht politisch zu positionieren?
Derzeit ist es für jeden Iraker schwierig, nicht in die politische Opposition gedrängt zu werden. Einige Menschen leben seit Jahrzehnten außerhalb des Iraks. Die Entwicklung ihres Heimatlandes kann sie traurig stimmen. Aber viele haben keine besonders genaue Vorstellung davon, was in den Nebenstraßen von Bagdad geschieht, wie wir es Webblogs entnehmen können.
Der Spiegel hat Ihr Projekt „The Iraqi Equation“, das in Berlin gezeigt wurde, kritisiert und einigen der beteiligten Künstler vorgeworfen, sie würden Hass auf Amerika schüren.
Ich habe meine Perspektive mit verschiedenen Argumenten erklärt, und sie haben sich ein oder zwei Sachen herausgepickt und daraus eine typische Manipulation à la Spiegel gemacht.
Sie haben dem Spiegel gesagt, „religiöser Extremismus“ sei „Teil eines Klischees“. Was meinen Sie damit?
Es gibt so viele Klischees, wie es Fundamentalisten gibt. Es gibt nicht nur muslimische Fundamentalisten, es gibt auch katholische Fundamentalisten. Aber ich befürchte, dass der Fundamentalismus immer mehr mit dem Islam assoziiert wird.
Bildet die Arbeit von Künstlern aus dem Nahen Osten da eine Art Gegenöffentlichkeit?
Diejenigen, die im Irak leben oder immer noch eng mit ihrer Heimat verbunden sind, befinden sich in einer absolut katastrophalen Situation. Ich glaube, viele Europäer sind da ziemlich verantwortungslos: Sie haben keinen blassen Schimmer von dem, was sich da vor ihrer Haustür abspielt.
Bei meinem Projekt „The Iraqi Equation“ wollte ich mit Künstlern zusammenarbeiten, die das aktuelle Tagesgeschehen im Irak thematisieren. Wir beschäftigen uns nicht mit der Vergangenheit und wir zeigen nicht die schöne Architektur. Die Künstler sind mit unterschiedlichen Motivationen zurück in ihr Heimatland gegangen und haben die Gegenwart dort gefilmt. So etwas ist dringend notwendig.
Haben Sie in Ihrer Ausstellung deshalb so viel Wert auf Dokumentarfilme gelegt?
Nachdem ich mir jede Menge Filme aus dem Irak angesehen habe, wurde mir klar, dass ich einen Großteil davon nicht zeigen würde, denn es handelte sich um denselben Bullshit, den man im französischen Fernsehen sehen kann. Es macht keinen Sinn, schreiende Menschen zu filmen, wenn man die Gründe für ihre Verzweiflung nicht kennt.
Ich lege großen Wert darauf, aussagekräftiges politisches Material zu zeigen. Mir geht es um Fotografien, Filme und Texte, die einen Einblick in die komplexen Verhältnisse gewähren, und nicht um eine Reproduktion durchästhetisierter Klischees. Wir zeigen eine neue Perspektive, die nicht mit der medialen Sichtweise übereinstimmt.
INTERVIEW: TIMO H. GRAU
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