: Wie Twitter die Uni revolutionieren soll
NETZKULTUR Lernen 2.0.: Offene Hörsäle an den deutschen Universitäten, keine Frontalvorlesungen mehr und ein weltweiter Wissensaustausch – Twitter, Blogs und Wikipedia können eine Chance sein, die Lernverhältnisse an den Universitäten zu verbessern
AUS BERLIN LUKAS DUBRO
„Haben sie etwa keinen Laptop mitgebracht? Das geht natürlich gar nicht!“ Auf dem Podium „Uni 2.0 – Wissen für alle überall“ sollte die Zukunft stattfinden. Hinter dem taz-Redakteur Christian Füller prangte eine riesige „Twitterwall“, auf der die TeilnehmerInnen virtuell miteinander zwitschern konnten. Und vor der Twitterwand zwitscherten sie ganz in echt. Willkommen in einem Laborversuch, bei dem die Virtualität auf die Realität trifft. Die Grenzgänger dazwischen: der Bildungsblogger Basti Hirsch, die Unternehmerin Bettina Michl, die Studentin Melanie Unbekannt und der Dozent Christian Spannagel.
Sie sind die Erkunder der virtuellen Wissensräume – und mussten zunächst einmal allerhand erklären. Zum Beispiel, was Twitter überhaupt ist. Und wie es funktioniert. Denn der Großteil des Publikums war zwar wach dabei, kannte den Internetkurznachrichtendienst aber gar nicht. Und hier ist die Antwort: „Der Vorteil des Internetinstruments ist, dass man permanent miteinander vernetzt sein kann“, erklärte Christian Spannagel. Spannagel ist überzeugter Twitter-Prof und arbeitet auch in seinen Vorlesungen mit der virtuellen Kommunikationsplattform. Er sieht in den neuen Medien die Möglichkeit, aus der geschlossenen Uni einen offenen Raum zu machen: „Durch diese Vernetzung wird der Seminarraum nach außen hin geöffnet.“
Der Twitter-Aktivist Basti Hirsch nutzt seinen Account etwa, um sich mit Fachleuten und Wissenschaftlern unkompliziert, direkt und hierarchiefrei auszutauschen, um sich auf kürzestem Weg gegenseitig spannende Aufsätze und gute Blogs zu empfehlen. Um zu lernen also. Das ist das eine. Und jetzt kommt die Wissensrevolution: „Mit diesen Medien können Studierende sich bereits während eines Vortrags untereinander austauschen, können dem Dozierenden direktes Feedback geben oder parallel nach zusätzlichen Informationen suchen.“ Moment mal. Hörsaaldemokratie per Twitter? Weil die Dozierenden die Kontrolle über ihre Seminare verlieren, würde der Unterricht demokratisiert, sagte Spannagel.
Und Bettina Michl, Mitgründerin der Agentur für kreatives Entwickeln, sagte: „Außerdem haben diese Instrumente eine sehr geringe Einstiegshürde. Jeder kann sie problemlos überall nutzen.“ Spannagel ging noch weiter. Er sei der Überzeugung, dass klassische Vorlesungen in Zukunft gar nicht mehr notwendig sind.
Nun ist Twitter nicht die Alleinrettung vor überdrögen Hörsälen. Die angehende Lehrerin Melanie Unbekannt berichtete, wie sie Blogs und Videos in ihren Unterricht einbaut. Die Klasse, mit der sie an einer Grundschule in Amberg zusammenarbeitete, durfte Gedichte von Heinrich Heine verfilmen. „Das schult viel mehr Kompetenzen als einfaches Auswendiglernen“, sagte sie. Die Videos wurden anschließen auf einen geschützten Blog geladen, wo sich die SchülerInnen ihre Arbeiten anschauen und kommentieren konnten. Die SchülerInnen könnten sich so ein Feedback geben, das sie gleichzeitig verbindet und zu einem produktiven Austausch führt.
Dass die virtuelle Welt nicht ohne die reale auskommt, das wurde dann aber auch noch klar: „Nur wenn die Dozierenden auch Lust auf diese neuen Formen des Lernens haben, kann der Unterricht von morgen auch als Unterricht auf Augenhöhe funktionieren“, sagte Spannagel.
Und dass die Realität mit der Virtualität auch häufig noch nicht viel anfangen kann, zeigten einige Stimmen in der Veranstaltung ebenso: Die waren durchaus skeptisch, ob die Spielereien aus dem Netz tatsächlich Wissensformate demokratisieren können. Zu unübersichtlich und vielschichtig würde ein Seminar durch Tools wie Twitter.
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