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„Berlin ist noch viel freier als andere Metropolen“

DER CLUBMACHER Sascha Disselkamp sorgt mit seinem Partybetrieb schon auch für den Hype um diese Stadt, den er ganz gern wieder loswürde. Weil eben die Gefahr besteht, dass mit dieser großen und allgemeinen Beliebtheit die Tänzer aus der Innenstadt verdrängt werden. Ein Gespräch über Lack und Lederjacken, Punk als Initialzündung und die besondere Ehre, mal David Hasselhoff durch die Stadt zu kutschieren

Sascha Disselkamp

■ Der Mann: Sascha Disselkamp wird 1964 in Rheda-Wiedenbrück geboren, einer 40.000-Einwohner-Stadt in Nordrhein-Westfalen. Mit 17 Jahren bricht er das Gymnasium ab und geht nach Berlin. Dort zieht er in ein besetztes Haus am Winterfeldtplatz. Zuerst arbeitet Disselkamp als Schauspieler und spielt 1982 die Hauptrolle in dem Beat-Film „Die Heartbreakers“, später in „Ralley Paris–Dakar“ mit Iris Berben.

■ Die Clubs: 1985 eröffnet Disselkamp seinen ersten Club: die Punkrock-Absteige Sexton in Schöneberg. Seit 1997 ist er Betreiber des Sage-Club neben dem U-Bahnhof Heinrich-Heine-Straße. Daneben gehörte er zu den Machern der Clubs Rechenzentrum in Treptow und des Big Eden am Kurfürstendamm. Disselkamp ist Vorstandsmitglied der Clubcommission.

■ Der Aktivist: Neben dem Sage-Club betreibt Disselkamp heute auch das Sage-Restaurant am Spreeufer – gleich gegenüber der East Side Gallery. Als Teile der Mauer für den Bau eines 60 Meter hohen Wohnturms eingerissen werden sollten, gehörte der 49-Jährige zu den Organisatoren des Protest dagegen. Bis heute lebt Disselkamp im (mittlerweile legalisierten) Haus am Winterfeldtplatz, nun mit seiner Freundin und den drei Kindern. In seiner Freizeit macht er Sport. 19 Jahre war Disselkamp Kettenraucher, heute gibt er Selbsthilfekurse unter dem Motto „Nichtraucher in vier Stunden“.

INTERVIEW KONRAD LITSCHKO UND GESA STEEGER FOTOS WOLFGANG BORRS

taz: Herr Disselkamp, es läuft gerade nicht so gut, oder?

Sascha Disselkamp: Sie meinen wegen der East Side Gallery? Seh ich ganz und gar nicht so.

Sie haben wie kaum ein anderer gegen den geplanten Wohnturm des Investors Maik Uwe Hinkel hinter der East Side Gallery protestiert. Anfangs demonstrierten 5.000 mit. Heute wird dort eifrig gebaut und keinen interessiert’s mehr.

Davon geht meine Welt nicht unter. Ich führe da keinen persönlichen Kampf um irgendwas.

Sie können von Ihrem Restaurant aus jeden Tag sehen, wie der Turm wächst. Das lässt Sie kalt?

Nee, das auch nicht. Die Sache ist für mich aber auch noch nicht durch. Das Zufahrtsproblem für den Bau ist ja weiter ungelöst. Deswegen kann es sein, dass Herr Hinkel doch wieder Teile der East Side Gallery einreißt. Und dann wird es auch wieder Protest geben.

Warum haben Sie sich so reingehängt bei dem Protest?

Dieser Ort da drüben ist einfach magisch! Ich finde es wichtig, dass Berlin Orte wie die East Side Gallery hat und nicht alles mit Hotels, Büros und Shopping Malls zugebaut wird. Als ich dann hörte, „Wir reißen die Mauer ab und bauen da ein Hochhaus hin“, da habe ich gedacht: Wenn noch nicht mal die East Side Gallery erhaltenswert ist, was soll ich euch dann von der Berliner Clubkultur erzählen?

Sogar David Hasselhoff hatten Sie für den Protest gewonnen. Wie kam das eigentlich?

Irgendwann wurde die East Side Gallery im Abgeordnetenhaus diskutiert, und dann sagte ein Pirat: Jetzt kommt am besten noch David Hasselhoff und erklärt uns das mit der Mauer. Da hatte Hasselhoff tatsächlich schon unsere Petition unterschrieben. Und wir dachten: Ja, warum eigentlich nicht? Wir haben ihn einfach mal angeschrieben, und verrückterweise hat er sofort zugesagt. Als David am Flughafen ankam, hatte ich eine Stretchlimo organisiert, nur einen Fahrer hatte ich nicht, also habe ich ihn selbst zur East Side Gallery gefahren. Das hätte ich auch nie gedacht: dass ich mal David Hasselhoff durch die Stadt kutschiere!

Sie sind Hasselhoff-Fan?

Nein, nein. „Baywatch“, „Knight Rider“ – das war nun wirklich nicht meine Zeit. Aber David ist ein entspannter Typ. Abends nach der Demo saßen wir noch bei mir im Restaurant, und er hat aus seinem Leben geplaudert, auch über seine Rückschläge. Das war entwaffnend ehrlich, richtig berührend.

Geht’s Ihnen wirklich um die East Side Gallery oder nicht viel mehr um Ihr eigenes Restaurant und Ihren Sage-Club, beides in Ufernähe?

Wie oft ich diese Frage schon beantwortet habe! Wirklich, es geht nur um die East Side Gallery. Wir haben in dieser Stadt verpasst, irgendwas zu erhalten, was noch das Gefühl vermittelt, wie diese deutsche Teilung eigentlich war. Die East Side Gallery macht die Teilung noch ein Stück erlebbar. Für mich hat das auch nichts mit Gentrifizierung zu tun. Da ist ja nichts, was gentrifiziert wird, da lebt ja keiner. Wir wären auch dagegen gewesen, wenn es dort um sozialen Wohnungsbau gegangen wäre.

Und trotzdem dürfte sich Luxuswohnen am Spreeufer schlecht mit ihrem Rock-Club vertragen.

Es geht ja schon los. Nebenan bei uns baut ein Investor Townhäuser mit Eigentumswohnungen. Wie die, die da einziehen, zu uns stehen, ist völlig offen. Deswegen habe ich ein großes Banner am Club angebracht: „Lieber Investor, bitte berücksichtige, dass hier seit Jahrzehnten Clubkultur existiert.“ Das ist mir wichtig. Selbst wenn wir mal eines Tages weg sind, hoffe ich, dass da jemand anders kommt und da einen Club macht. Das ist hier einfach ein innerstädtischer Raum, in dem du bis morgen tanzen kannst, ohne dass den Nachbarn alles aus dem Gesicht fällt. Das muss erhalten bleiben.

Falls nicht: Hoffen Sie, dass die Leute dann auch fürs Sage demonstrieren?

Sicher werden sie das! Tausende! (lacht)

Aber sind Sie mit Ihrem Restaurant und Club nicht auch Profiteur des Aufschwungs?

Ich finde es gar nicht schlimm, dass Geld in die Stadt kommt. Ich bin nicht dafür, zu sagen: Lasst Berlin so, wie es ist. Ich bin seit den Achtzigern hier und es hat immer Veränderungen gegeben. Ich würde mich nur freuen, wenn man ein bisschen behutsamer damit umgeht und nicht versucht, aus Kreuzberg Charlottenburg zu machen.

Sie waren mal Punk und Hausbesetzer. Als was sehen Sie sich heute?

Ich hab kein Schema mehr, in das ich reinwill. Ich bin doch mit meinen bald 50 Jahren nicht mehr Anhänger einer Jugendkultur, das wäre doch lächerlich.

Sie kommen ursprünglich aus Rheda-Wiedenbrück, einem kleinen, katholischen Nest in Nordrhein-Westfalen. Klingt nicht nach Punk.

Ich war da der erste! (lacht) Ich bin mit 17 Jahren nach Berlin gekommen, mit meiner Schulklasse. Da habe ich das erste Mal zwei Punks gesehen und gedacht: Das ist jetzt mal das so ziemlich Wildeste und Freieste, was ich je gesehen habe! Das hat mich richtig gekickt. Auf einmal habe ich gedacht: Ich leb im Gefängnis. Mein Dorf ist meine Unfreiheit. Ich musste da weg.

Deshalb haben Sie die Schule geschmissen und sind nach Berlin?

Ja, fast sofort danach. Ich hatte das Glück, dass meine Eltern mich gehen ließen. Ich hab ja drei Kinder, zwei sind 20 Jahre alt. Hätten die mir vor drei Jahren gesagt, ich ziehe irgendwohin, wo eine Mauer drum ist und wo du nie hinkommen wirst, wäre das hart für mich gewesen.

Und wie war damals Berlin?

Ich war gleich da, wo ich sein wollte. Am Winterfeldtplatz bin ich in ein besetztes Haus gezogen. Ich war nächtelang in Kneipen, war auf Demos. Es hätte zwei, drei Kontakte mehr gebraucht und ich wäre ganz nach links abgerutscht. Ich hätte echt schon Dummheiten machen können.

Haben Sie aber nicht?

Also wenn Sie es genau wissen wollen: Ich bin kurz mal fürs Steinewerfen am 1. Mai inhaftiert worden. Heute würde ich so was nie wieder machen. Mein Blick auf Gewalt hat sich total geändert. Also ich kann das nur jedem sagen: Wer hier am 1. Mai auf die Demo geht und Steine schmeißt – das geht gar nicht!

Aber als Linker würden Sie sich schon noch bezeichnen?

Natürlich! Ich habe mein Leben lang eigentlich nur die Grünen gewählt. Mich bewegt, was mit unserer Umwelt passiert. Jede Tonne Steinkohle, die mehr verbrannt wird, ist eine zu viel. Ich lehne auch Fleischkonsum ab. Was wir mit unseren Tieren machen, geht gar nicht.

Moment, in Ihrem Restaurant gibt’s aber schon Fleisch.

Ja, darüber haben wir hier lange diskutiert. Ich hätte das gerne anders gemacht. Aber ich betreibe den Laden ja nicht alleine. Und gerade bei diesem Thema kannst du vergessen, der Messias für alle zu sein. Das muss jeder für sich selbst entscheiden.

Auf Ihrer Speisekarte steht Rehrücken mit Selleriemousseline. Was hat das noch mit Punk zu tun?

Unser Restaurant bietet beides. Es kommen Leute mit ihrem Porsche aus Charlottenburg angefahren. Gleichzeitig haben wir aber auch die tätowierten Szene-Nasen, die hier Pizza essen. Diesen Spagat haben wir schon immer gemacht. Wir hatten nie ein Problem damit, einen Club zu eröffnen, der donnerstags Rockmusik macht, freitags R’n’B und samstags Elektro. Ich habe da keine Berührungsängste, auch bei den Menschen nicht. Mir ist egal, wie viel jemand verdient. Geld macht doch nicht den Charakter.

Seit 16 Jahren betreiben Sie den Sage-Club am U-Bahnhof Heinrich-Heine-Straße. Wie kamen Sie zum Club?

Mein größtes Problem war eigentlich immer, dass ich nicht wusste, was ich werden soll. Die Vorstellung, irgendwo angestellt zu sein und einen Chef zu haben, der sagt, du musst das und das machen, war für mich schrecklich. Dann hat mich ein Freund gefragt: Willst du nicht mit uns einen Laden aufmachen? Und ich habe gesagt: Ja! Mein eigener Chef sein, das ist Freiheit, dachte ich. Dann haben wir 1985 das Sexton in der Winterfeldtstraße aufgemacht. Die ganzen Punkrocker, die damals in Westberlin spielten, sind nach ihren Auftritten zu uns gekommen: Dead Kennedys, Metallica, AC/DC. Das Sage kam dann später.

Haben Sie mit Ihren Clubs nicht genau das lässige Image geschaffen, weshalb sich heute Hinkel und und Co. für Berlin interessieren?

Also Berlin war schon in den achtziger Jahren cool, deshalb sind ja alle dahin gegangen. Und klar, auch die besetzten Häuser und die Clubs waren Magneten für gewisse Touristenströme. So gesehen stimmt’s: Wir schaffen den Hype, den wir jetzt wieder versuchen loszuwerden. Das ist so. Aber ich versuche das zu kanalisieren.

Ist Berlin überhaupt noch cool?

Ich bin immer noch sehr glücklich, hier zu leben. Berlin ist immer noch viel freier als andere europäische Metropolen. Gerade diese Ecke hier hat noch seinen herrlich anarchistischen Charakter. Ob das in 20 Jahren auch noch so ist? Ich weiß es nicht. Aber darüber reden wir ja gerade. Dass es darauf ankommt, solche Orte bestehen zu lassen. Überall Büros und Einkaufscenter hinzubauen – dafür kommt keiner nach Berlin. Ich glaube, dass das bei den Leuten, die das entscheiden, langsam ankommt.

Sie gehörten 2000 zu den Mitgründern der Clubcommission, einer Art Clubvertretung. Dort kämpfen Sie seitdem gegen schwindende Freiflächen, steigende Mieten und Anwohner, die Clubs wegen Lärm wegklagen. Klingt nicht nach Verständnis.

Ich finde, unsere Lobbyarbeit ist uns ganz gut gelungen. Es gab mal eine Phase, da hatten Clubs wie das Ostgut oder der Tresor fast jede Woche eine Razzia. Da ist die Polizei schön um 1.30 Uhr reinmarschiert, hat alle 300, 400 Leute durchsucht, und die Party war beendet. Das ist natürlich ein ruinöser Zustand. Da haben wir uns mit der Polizei getroffen und gesagt, man würde doch auch nicht, nur weil ein stadtbekannter Dealer mit zwei Koffern Kokain im Ritz-Carlton abgestiegen ist, gleich das ganze Hotel filzen. Das haben die verstanden und seitdem ist Schluss mit Razzien.

Sie haben von Ihren zwanzigjährigen Kindern gesprochen. Gehen die eigentlich ins Sage?

Na klar! Die arbeiten da sogar.

„Ich habe da keine Berührungsängste. Mir ist egal, wie viel jemand verdient. Geld macht doch nicht den Charakter“

Der angesagteste Club ist das Sage aber nicht mehr, oder?

Wieso? Wir haben hier jeden Donnerstag rund 1.000 Leute, bei uns spielen über 100 Bands im Jahr, und das seit 16 Jahren. Es gibt keinen anderen Club, der kontinuierlich solche Zahlen hat. Trotzdem musst du immer wieder neue Wege gehen, deswegen haben wir vor sechs Jahren auch den Kitkat-Club reingeholt.

Die Fetisch-Party mit wenig Bekleidung, bei der auch Sex geht.

Ich bin froh darüber, dass wir so etwas in Berlin haben! Das ist für mich das Beispiel für Toleranz in dieser Stadt. Anderswo wäre ein Club mit so einer Ausrichtung doch undenkbar.

Gehen Sie selbst auch zu den Kitkat-Parties?

Ich war in den letzten fünf Jahren vielleicht zehnmal da.

In Lack und Leder?

Nicht in Lack, aber in Lederjacke. Ich muss aber gestehen, dass ich gar nicht so ein häufiger Clubgänger bin.

Ach so? Warum nicht?

Ich hab einen achtjährigen Sohn, ich muss morgens früh raus. (lacht)

Es ist ja nicht nur das Kitkat: 2002 hatten Sie kurzzeitig auch mal das Big Eden des Berlin-Playboys Rolf Eden am Ku’damm übernommen. Sie schätzen Experimente, oder?

Das war eine ganz andere Geschichte. Rolf Eden war mal bei uns im Sage. Ein paar Wochen später habe ich ihn zufällig auf einem Familienurlaub in Fuerteventura getroffen, im Robinson-Club. Meine Eltern hatten uns eingeladen, sonst würde ich da nie hin, ich schwör’s! Jedenfalls bot mir Rolf Eden damals an, seinen Laden zu kaufen. Da hab ich noch abgewunken. Aber als später ein befreundeter Produzent auf mich zukam, der gerade mit „Caveman“ ein sensationelles Theaterstück hatte, und meinte, er habe ein noch besseres Stück, da kamen wir wieder aufs Big Eden. Da haben wir gesagt: Wir sind dabei.

Nur ging das nach hinten los: Der Laden war wenig später pleite.

Ja, das Theaterstück war leider sensationell schlecht. Auf der Bühne haben nackte Männer Schlager gesungen. Das kam irgendwie nicht so an.

Verfolgen Sie eigentlich eine Strategie mit dem, was Sie tun, oder kommt das so auf Sie zu?

Ehrlich gesagt bin ich dermaßen planlos, das ist für manche Leute schon schwer zu ertragen. Ich bin auch immer bereit, etwas zu riskieren. Es gibt meiner Meinung nach nur eine Haltung, die es verdient hat, eingenommen zu werden: eine entspannte. Man sollte keine Angst vor der Zukunft haben, denn die gibt es nicht. Man lebt nur im Hier und Jetzt.

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