piwik no script img

press-schlagEin Held namens Mehmet

Wer, wenn nicht Mehmet Scholl mit dieser Technik, mit diesen Inspirationen, könnte die Nationalmannschaft noch retten?

München am 15. April 2006. Bayern spielt schlecht gegen Bielefeld. In der Schlussphase, es steht 0:0, wechseln die Gastgeber, der Neue führt sie virtuos zum Sieg. Seine Genialität in einer müden Truppe wird von allen Seiten gelobt. Sein Name: Mehmet Scholl. Endlich wieder ein Held! Und wo er schon Bayern-Held ist, soll er nun nationaler Held werden.

So wie einst? Lüttich am 12. Juni 2000. Deutschland spielt zum Auftakt der Europameisterschaft gegen Rumänien 1:1. Es kommt schlimmer: Die deutsche Mannschaft wird keinen weiteren Punkt machen, sie wird kein zweites Tor schießen. Bei einer der deprimierendsten Turniervorstellungen aller Zeiten steht nach dem Ausscheiden als Gruppenletzter in der Torschützenliste nur ein Name: Mehmet Scholl. Seltener Ruhm. Tja.

Mehmet Scholl also. Der nach dutzenden von Verletzungen 2002 nicht zur WM fuhr, weil er seinen Körper schonen wollte. Der kein komplettes Spiel mehr durchstehen kann. Der 35 Jahre alt ist. Und doch gibt es dieses verzückte Träumen: Wer, wenn nicht er mit dieser Technik, mit diesen Inspirationen, könnte ein gefährdetes Spiel noch retten? Ja, keiner ist wie Scholl, der das bärenstarke Bielefeld in die Knie gezwungen hat; der an diesem Sonntag dem tapferen Mainz den Rest geben dürfte. Und dass nur Scholl nächste Woche im Pokalfinale das gigantische Frankfurt auseinander spielen wird, so zwischen der 81. und 85. Minute, versteht sich auch von selbst. Scholl, der Joker, Super-Joker, Edel-Joker. Zu blöd, dass nicht für jeden WM-Kader so ein Extra-Joker nominiert werden darf, der maximal 15 Minuten pro Spiel macht.

Es wäre eine so nette Geste gegenüber reifen Stars. Zumal deren Alter sie selten vor Begehrlichkeiten sehnsuchtsvoller, eventuell auch gerade nur gelangweilter Fans und Trainer schützt. 1962 wollte Sepp Herberger unbedingt den 41 Jahre alten, bereits vom Fußball zurückgetretenen Fritz Walter für die WM in Chile reaktivieren. Der Fritz mochte nicht. 1978 hätte Helmut Schön gern Franz Beckenbauer mit nach Südamerika genommen, der wollte auch nicht.

Will Scholl eigentlich? 2002 war sein Nein auf die Rückkehrrufe der Fans und auch des Bundestrainers klar und vernehmlich. Nun, wo wieder nach ihm geschrieben wird, schweigt er. Schweigen, weiß man ja, bedeutet Zustimmung. Allerdings fehlt noch der Ruf des Bundestrainers. Immerhin ist die Lage nicht so feindselig wie 1998.

Damals wollte Berti Vogts Lothar Matthäus partout nicht dabeihaben, aber Matthäus – ohne den Deutschland zwei Jahre zuvor Europameister geworden war – wollte umso mehr. Er war wieder derart prächtig in Form, dass öffentlicher Druck ihn ins Team presste. Das Turnier in Frankreich war bekanntlich ein Debakel. Auch dank Christian Wörns. Der gleichwohl in diesem Jahr schon wieder Gegenstand der klippschulenartigen Ja-Nein-Debatten wurde. Wäre nicht gerade seine Turniererfahrung enorm wichtig? Darf Klinsmann auf einen wie ihn verzichten? Nichts scheint so leicht wie das Vergessen vergangener Murksereien. Was ja wiederum auch etwas Tröstliches hat.

In der besonders im Großraum München so leidenschaftlich befeuerten Scholl-der-Retter-Debatte ist aber auch dies nicht zu unterschätzen: Wo Deisler verletzt, Ballack faktisch weg und Kahn nur Reservist ist, schmilzt die aktive Teilnahme des FC Bayern München am deutschen WM-Team auf Schweinsteiger und Lahm. Das ist dürftig für einen Verein, der vor nicht allzu langer Zeit davon träumte, als FC Bayern Deutschland Weltmeister zu werden. Auch hier soll Scholl vielleicht retten, was gar nicht mehr zu retten ist.

Die gute Nachricht zum Schluss: Es wird Frühling.

KATRIN WEBER-KLÜVER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen