Der konservative Sirenengesang hat in Ungarn nicht verfangen: Sieg des neoliberalen Postkommunismus
Der Traum von einer 20 Jahre dauernden Fidesz-Regierung – wie sie der Chef der Rechtskonservativen Viktor Orbán Anfang April noch lautstark verkündet hatte – ist ausgeträumt. Was sich beim ersten Wahlgang am 9. April bereits abgezeichnet hatte, bestätigte sich in der zweiten Runde. Die sozialistische Partei (MSZP) von Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány hat den konservativen Ungarischen Bürgerverband (Fidesz) von Viktor Orbán besiegt. Der nationalistische Sirenengesang, mit dem die Konservativen ihren Wahlkampf begleiteten, scheint die Wählers nicht besonders beeindruckt zu haben.
Das im Laufe des 20. Jahrhunderts immer wieder strapazierte ungarische Sendungsbewusstsein und die damit verbundene geschichtliche Verantwortung für die nach dem Ersten Weltkrieg an Rumänien, die Slowakei und Serbien verlorenen Territorien, erhitzt aber nach wie vor die Ewiggestrigen. Die meisten Ungarn beschäftigt jedoch mehr die eigene soziale Zukunft als die Wiederherstellung eines großungarischen Traumes.
Auch die einseitige Verteufelung der Sozialisten als rosa lackierte Kommunisten blieb wirkungslos. Sie sind längst in der neuen Zeit angekommen. Als neoliberale Wirtschaftsbosse, als Investoren oder demokratische Politiker. Für sie ist Europa jedenfalls gewinnbringender als die Beschwörung der alten nationalen Geister, verkörpert durch die in den Nachbarländern lebenden Ungarn.
Im Unterschied zu ihren konservativen Gegnern haben die Sozialisten jedenfalls erkannt, dass eine Zusammenführung aller Ungarn nur in einem vereinigten Europa, zu dem auch Rumänien gehören wird, friedlich verlaufen kann. Eine Haiderisierung Ungarns durch die Fidesz hätte nur zu Spannungen mit den Nachbarländern geführt und keineswegs die inneren wirtschaftlichen Probleme gelöst. Auch die Sozialisten haben dafür keine Rezepte, aber sie haben wenigstens mehr Fingerspitzengefühl, wenn es um die Stimmung der Bevölkerung geht. Und die wünscht sich etwas mehr Wohlstand und weniger nationalistisches Geklimper. WILLIAM TOTOK
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