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Ungarns Versöhner und Ordnungsstifter

Wie immer leicht unbeholfen – so wirkte der sozialistische ungarische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány, als er seinen Wahlsieg verkündete, immerhin die erste Wiederwahl eines postkommunistischen Regierungschefs in Ungarn. „Wir haben gewonnen“, sagte Gyurcsány am Sonntagabend vor seinen Parteifreunden und Anhängern in Budapest, in einem Ton, als ob er einen vorformulierten Satz von einem Blatt Papier ablese. Dann warnte er seine Partei vor Triumphalismus und Übermut: „Ihr sollt wissen: Die Verantwortung des Siegers ist, dass ganz Ungarn gewinnt. Wir haben nicht die Macht gewonnen, sondern die Verantwortung und eine Aufgabe.“

Ferenc Gyurcsány, 44, hat das Charisma eines stellvertretenden Behördenleiters. Seine Reden sind alles andere als rhetorische Glanzstücke, er spricht monoton, hüstelt häufig und verhaspelt sich ständig. Gerade in dieser Art liegt wohl für viele Ungarn sein Charme. Gyurcsány kann nicht gut mimen. Wenn er etwas sagt, ist es ernst gemeint. Wenn er fragt, interessiert ihn die Antwort. Über was er spricht, beschäftigt ihn.

Vor einigen Wochen hielt er im Parlament eine Bilanzrede zur Tätigkeit seiner Regierung. „Es scheint, als ob sich viele Menschen noch gegen das neue Ungarn wehren“, sagte er besorgt. „Aber ich sage, es führt kein Weg zurück zum Sozialismus! Wir möchten eine soziale Marktwirtschaft aufbauen!“

Armut und Ungleichheit, so sagen manche derer, die ihn gut kennen, beschäftigen ihn. Ausgerechnet ihn: den „roten Kapitalisten“. Gyurcsány war vor 1989 Chef des kommunistischen Jugendverbandes KISZ in Südungarn. Nach der Wende wurde er mit Investmentgeschäften zu einem der reichsten Unternehmer Ungarns. Vor wenigen Jahren stieg er wieder in die Politik ein. 2002 wurde er in der sozialistisch-liberalen Regierung Sportminister, im Sommer 2004 übernahm er putschartig das Amt des Regierungschefs und beendete so eine lange Partei- und Regierungskrise der Sozialisten. Für die meisten in seiner Partei verkörpert er seither einen Mann, wie sie ihn seit Jahren an ihrer Spitze wollten. Einen, der die dutzenden traditionell streitenden Fraktionen versöhnt. Einen, der sich in der Öffentlichkeit glaubwürdig als Bewahrer von Ruhe, Ordnung und sozialer Sicherheit zu profilieren weiß. János Kádár, der den Gulaschkommunismus einführte, fuhr gerne Straßenbahn und hörte den Sorgen der Ungarn zu. Ferenc Gyurcsány geht gerne zu Rockkonzerten und schreibt regelmäßig Privates und Öffentliches in seinem Internet-Tagebuch auf. Ungarn ist in seiner neuen, alten Mitte angekommen: So viel Kontinuität wie nötig, so viel Modernität wie möglich. KENO VERSECK

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