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Vom Schlängeln und vom Züngeln

PERFORMANCE Beim „Bodytalk“ in der Volksbühne sind Pythonschlangen, Erdnattern und Tänzer die Protagonisten – sie führen eine Art Improvisationstheater auf, das nicht nur unterhalten, sondern auch belehren soll

Reptilien hinterließen rote und grüne Farbschlieren auf den Körpern der Tänzer – die wurden mithilfe einer Psychoanalytikerin gedeutet

VON HELMUT HÖGE

Seltsam: Während ein Spaziergang des Künstlers Andreas Wegner mit einem Huhn an der Leine durch Kreuzberg vom Ordnungsamt verboten wurde, erlaubte man die „Mitwirkung“ mehrerer Riesenschlangen bei einer Veranstaltung in der Volksbühne.

Hier bekamen wir es am Freitagabend mit einer Schlangen-Performance als Belehrung und Kunst zu tun. Das war etwas Neues, denn bisher traten die Tiere in den Volksbühnenstücken nur als Statisten auf. Im Gegensatz zu vielen anderen Bühnen, auf denen bestenfalls noch gut gehorchende Hunde mitwirken dürfen, hat Frank Castorf in seinen Aufführungen immer wieder auch Großtiere wie Pferde oder eine ganz Ziegenherde eingesetzt (überhaupt scheinen immer mehr Tiere ihr Geld im Showgeschäft verdienen zu müssen).

In diesem Falle waren fünf große Pythonschlangen und drei kleine Erdnattern im Einsatz. Letztere versuchten – kaum aus dem Sack gelassen – sofort ins Dunkle unters Publikum zu fliehen. Die Pythons wirkten dagegen bühnenerprobter. Sie balancierten auf einer Bambusstange und bewegten sich langsam auf den Schultern ihres Besitzers Rainer Kwasi, dem sie nebenbei damit auch seinen Lebensunterhalt finanzieren.

Die größte, eine etwa fünf Meter lange gelbe Python, spielte die Hauptrolle in einem Film, der zuerst gezeigt wurde. In einer Aufzeichnung sah man, wie sie langsam, aber ständig züngelnd die Volksbühne erkundete – bevor sie sich nun im Roten Salon live dem zahlreich erschienenen Publikum zeigte.

Ein Conferencier erklärte uns dann das multifunktionale Sinnesorgan gespaltene Schlangenzunge. Als wäre der Multifunktionszunge noch nicht genug, hat die Python noch eine Art drittes Auge auf der flachen Stirn, mit der sie etwa Infrarotstrahlen wahrnehmen kann.

Das gesamte Sensorium der Schlange ist so ausgeprägt, dass sie sehr feine Informationen über den Menschen wahrnehmen kann – vielleicht mehr als wir über sie.

Die Volksbühne wäre keine Erfolgsbühne, wenn nicht noch ein Bremer Regisseur, eine russische Dramaturgin, ein spanischer Tänzer, eine japanische Tänzerin und eine lateinamerikanische Psychoanalytikerin dabei wären, wobei Letztere noch einen ganzen Tross angehender Psychoanalytiker im Zuge eines Workshops mitbrachte. Sie formierten sich nach der Vorführung um die große gelbe Python, die sich in der Mitte des Saales locker zusammengerollt hatte, und berührten sie vorsichtig.

Obwohl ihr Besitzer zuvor erwähnte, dass Schlangen keinen Alkohol mögen und eigentlich auch nicht angefasst werden wollen, schien die große Gelbe auch das gelassen hinzunehmen. Sie züngelte nicht einmal, und ihre Augen hatte sie geschlossen. Irgendwie war sie aber der Star und Liebling des Abends.

Vielleicht war ihr als längste, dickste und älteste Schlange unter den unfreiwilligen Darstellern nichts Menschliches mehr fremd. Jüngere Reptilien fliehen dagegen vor den Menschen, und wenn man sie packt, schauen sie einigermaßen kaltherzig drein.

Die große gelbe Python aber ließ sich keinerlei Scheu oder Skepsis anmerken. Den wilden Tieren bleibt wohl nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen, wenn sie als Edutainment-Elemente in menschlichen Soziotopen herhalten müssen oder im Zoo verblöden.

Von wissenschaftlicher Seite, seitens des Münchner Ökologen Josef Reichholf, kommt derweil die Aufforderung, man müsse weg von der Beschränkung der Forschung auf Arten, auf „artgerechte“ Haltung – man solle sich stattdessen auf Individuen konzentrieren: Jedes hat eine andere Persönlichkeit.

Im Film wurden der Python natürlich die Drehorte zugewiesen und sie brauchte sich dort bloß bewegen, dabei entschied sie sich jedoch stets für eine interessante Nach-vorne-Strategie – statt sich einfach beleidigt zusammenzurollen.

Ein Bad in der Wanne

So kroch sie zum Beispiel durch die kleine Öffnung der Theaterkasse und erzüngelte sich kurz den Kassierer, nahm auf einem der Tische in der Kantine ein schnelles Bad in einer Plastikwanne und wagte sich sogar die lange Treppe zu den oberen Rängen hinauf. Das alles hatte, wenn schon nichts Spielerisches, zunächst mal nichts Tierquälerisches an sich, aber diesbezüglich kann man sich auch irren – gerade bei den Python, die zwar in der Alten Welt beheimatet, aber schon lange aus Europa verschwunden sind.

Den Abend in der Volksbühne bestritt das Ensemble „Bodytalk“. Zu einem solchen ließen sich zwei Tänzer mutig zwei gefleckte Pythons über ihren nackten Körper schlängeln, auf denen eine es sich gar gemütlich machte.

Zwar war der Saal für sie mit 27 Grad überhitzt worden, aber eine Körpertemperatur von 37 Grad direkt zu fühlen, schien den Kaltblütern dann doch noch angenehmer zu sein.

Die beiden Reptilien hinterließen rote und grüne Farbschlieren auf dem Körper der Tänzer, diese wurden dann mit Hilfe der erwähnten Psychoanalytikerin gedeutet. Sie meinte jedoch, dass das Wichtige dabei – zumindest in therapeutischer Hinsicht – der direkte Körperkontakt sei. Wer weiß, vielleicht sind Schlangen ja ähnlich „heilsam“ wie Therapiehunde, -delphine oder -pferde.

In der Berliner Zeitschrift Tierstudien (1/2012) fragte sich der Dramaturg Maximilian Haas, was das Lachen des Publikums über Tiere auf einer Theaterbühne bedeutet, nachdem er ein Stück aufgeführt hatte, in dem ein Esel die Hauptrolle spielte. Es läge darin „gleichermaßen eine Quelle der Lust wie ein Gewaltpotenzial“. Gelacht wurde über die Schlangen zwar nicht, aber ob der donnernde Schlussapplaus bei ihnen so gut ankam wie bei den menschlichen Mitspielern, darf bezweifelt werden.

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