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Schnüffeln in Halle 5

Tischtennis geht so, dass am Ende immer die Chinesen gewinnen. Am 1. Mai werden sie in Bremen wieder zum Weltmeister gekürt. Doch es gibt auch die anderen, die Namenlosen. Bei ihnen stehen die Platten dicht gedrängt, und es fehlt der Geruch von Klebstoff in der Luft. Ein Besuch in der Nebenhalle

aus Bremen Jan Zier

Barry Wijers knallt den weißen Zelluloidball fünf-, sechsmal auf den Boden. Tänzelt wie ein Boxer. Links, rechts, links, rechts. Schlägt auf. Den Kopf dicht über dem Plattenrand gebeugt, den Mund geöffnet, die Augen zu Schlitzen verengt. Der Ball peitscht hin und her, bis der Niederländer ihn zum 3:3 ins Netz schlägt. Italien kann ausgleichen, Nummer 294 die Zähne fletschen. Oliver Kahn ist auch hier nicht dabei. Aber ein Double, möchte man meinen.

Es ist Weltmeisterschaft in Bremen, genauer gesagt die „Liebherr Mannschafts-Weltmeisterschaft“ im Tischtennis. Wenn es schon nicht zum Austragungsort beim Fußball gereicht hat, dann musste wenigstens eine andere WM her. 200 Teams mit 800 SpielerInnen sind nach Bremen gekommen, für neun Tage ist die als AWD-Dome apostrophierte Stadthalle ihr Stadion. Bremen will dem Fußball in nichts nachstehen: Diese WM ist „typisch deutsch“, hört man aus Spielerkreisen, „alles ist perfekt organisiert“. Knapp 50.000 Eintrittskarten sind verkauft, und für die Finaltage gibt es schon lange keine Tickets mehr.

Es ist die organisierte Zwei-Klassen-Gesellschaft. Da gibt es die Großen, die so genannte „Champions Division“. Die dürfen vorne spielen, wo 10.000 Leute Platz haben. Und dann gibt es den Rest der Welt, verteilt auf drei Ligen, versammelt in Halle 5. Dicht gedrängt stehen Dutzende von Platten, nur hier und da unterbrochen von einer kleinen Tribüne. Auf wenigen Metern kämpfen Chileninnen gegen Griechinnen. Iren gegen Guatemalteken. Libanesen gegen Thailänder. Ein Mann aus Nigeria läuft sich warm. Eine handvoll Fans aus dem Iran muss hilflos der Niederlage gegen die Argentinier zusehen. Hier hört man jedes Keuchen, jedes Fluchen.

Allein ein penetranter Geruch fehlt. Dieser Duft von Klebstoff, der ans Schnüffeln erinnert. Man erhascht ihn erst, hat man den Schläger schon dicht vor der Nase. Wer siegen will, muss kleben, und zwar vor jedem Spiel neu. Nicht wegen des Belags. Sondern wegen des Lösungsmittels: Es macht den Ball schneller, beschleunigt ihn auf bis zu 180 Kilometer pro Stunde. Das Ergebnis kann man hören: Je heller und klarer das Klicken des Balles, desto frischer klebt der Stoff. Trocknet er, verpufft der Effekt – und ein neuer Belag muss her. Doch in Halle 5 kann sich das nicht jeder leisten.

„A leckere Ball“, ruft hier einer der mitgereisten Oranje-Fans. Barry Wijers ist soeben mit 8:6 in Führung gegangen. Er ballt die Faust, und aus der Ecke der Italiener tönt ein „Forza“. Im nächsten Moment zückt einer der beiden Schiedsrichter die rote Karte, verweist den Trainer der Italiener auf die Tribüne. Handzeichen habe er seinem Schützling gegeben, lautet der Vorwurf. Am Ende gewinnt Mihai Bobcicia dennoch, nach fünf Sätzen.

Bei den Großen spielt unterdessen der Schwede Jan-Ove Waldner und stielt dabei sogar den legendären Chinesen von nebenan die Show. Jan-Ove Waldner, „das Genie“. Jan-Ove Waldner, „die Lichtgestalt“. Jan-Ove Waldner, „der liebe Gott des Tischtennis“. In China lieben sie einen wie ihn, dort versetzt er pubertierende Mädchen in ohnmachtsnahes Kreischen.

Bald wird er 41 – und sieht keineswegs jünger aus. Man erzählt sich, dass er dann und wann schon mal besoffen vom Barhocker fällt. Das gelbe Trikot spannt auch ein wenig über dem Bierbauch, der Nacken ist fleischig geworden, die Beine dafür etwas schmal. Und wenn er sich die Schuhe bindet, setzt er sie auf der Platte auf. Der Rücken, sie wissen schon. Eine gelbe Karte vom Schiedsrichter gibt‘s trotzdem.

Von der Nordtribüne betrachtet ist ein Jan-Ove Waldner nicht viel größer als eine Playmobil-Figur. Kein Keuchen, kein Fluchen. Nur die geballte Faust in der Ferne. Und ein gelbes Transparent, mit blauer Aufschrift. „Supporter of Sweden“, steht da geschrieben. Waldner kann es nicht lesen.

Ein Schlachtenbummler aus der Heimat findet sich ein, mit dem blau-gelben Wikinger-Hut auf dem Kopf. Nur ein paar hundert Fans verfolgen an diesem Morgen die Vorrundenspiele. Am Wochenende, sagen sie, wird die Halle toben. Wenn die Finalspiele laufen.

Und die Chinesen gewinnen. Wie es die nationale Aufgabe verlangt. Und das Gesetz der Serie. 101 aller 327 Goldmedaillen, die in den letzten 80 Jahren bei Weltmeisterschaften vergeben wurden, gehören Chinesen. Besser als sie sind nur die Chinesinnen. Niemand benutzt so griffige Beläge. Niemand lässt die Bälle so rotieren wie sie. Niemand spielt kunstfertiger, aggressiver, kontrollierter.

Einen wie Jan-Ove Waldner ficht das nicht an. „Ich kann immer noch alle schlagen“, sagt er. Selbst ein einzelner Chinese sei immer mal zu bezwingen. So wie bei den Olympischen Spielen 2004, als Waldner erst im Halbfinale scheiterte. Als bester Europäer. „Mit mir gehören wir zu den stärksten Teams der Welt. Ohne mich sind wir eines der schwächsten.“

Was zu beweisen war. An diesem Mittwoch, Schweden führte mit 2:0, hat Waldner verloren, gegen den Rumänen Andrei Filimon. Und nicht nur er. Am Ende musste sich Schweden geschlagen geben.

Die Niederlande übrigens auch, die Italiener gewannen 3:1. Nützen wird ihnen das nichts. Sie spielen in Gruppe A. Neben China.

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