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DIE JENNIFER ANISTON DES WELTFUSSBALLSAlles über Diego

über Ball und die Welt

MARTIN KRAUSS

Lieber Leser, liebe Leserin, finden Sie doch bitte die Gemeinsamkeit dieser Meldungen aus den letzten Wochen heraus. Und vergleichen Sie anschließend die Person, um die es geht, mit hiesigem Personal: etwa mit Jogi Löw, Miroslav Klose oder Michael Ballack.

Erstens: Die Modefirma Louis Vuitton hat eine Kampagne mit Pelé, Zinédine Zidane und Diego Maradona gestartet, in der die drei Herren an einem Tischkicker platziert werden.

Zweitens: Ibrahim Babangida, der frühere Diktator von Nigeria, der wieder Präsident werden will, wird in seiner Heimat der „Maradona der nigerianischen Politik“ gerufen. Das verdankt er dem Umstand, dass er eine mit großer Sicherheit von ihm angeordnete Wahlfälschung als Tat einer überirdischen Macht erscheinen lässt – quasi als „Hand Gottes“.

Drittens: Im indischen Kalkutta hatte der damals 23-jährige Arjun Mukherjee mit den Begriffen „Maradona“ und „Signature“ sein Tattoo ergoogelt – und zwar für sein linkes Bein, denn er ist Linksfüßler. Als jüngst Diego Maradona persönlich Kalkutta besuchte, sich die gestochene Unterschrift anschaute und sogar Mukherjee berührte, weinte der vier Stunden lang.

Viertens: Fabrizio Miccoli, Stürmer des italienischen Erstligisten US Palermo, erwarb für eine fünfstellige Eurosumme beim italienischen Zoll einen Ohrring, der Diego Maradona einst wegen Steuerschulden gepfändet wurde. Miccoli will ihn Maradona schenken.

Fünftens schließlich: „The Spoiler“, das sich als das einflussreichste Fußballblog des Jahrzehnts bezeichnet, titelt begeistert und mit Ausrufezeichen: „Diego Maradona lässt sich einen prächtigen Bart wachsen!“

Die Gemeinsamkeit, die gesucht wird, lieber Leser, liebe Leserin, ist ein dickliches Fußballgenie, das im Oktober 50 Jahre alt wird. Es handelt sich quasi um die Jennifer Aniston des Weltfußballs, denn kaum ein Tag vergeht, an dem sich nicht eine Meldung aus dem Berufs- oder Privatleben des Mannes, der gegenwärtig (und gewiss nicht lange) die argentinische Nationalmannschaft betreut, in der Weltpresse findet. In der spanisch- häufiger als in der englisch- und dort noch häufiger als in der deutschsprachigen – aber irgendwie dringt das Wissen über seine Che-Guevara-Tätowierung, seine Magenverkleinerung und seine kurzzeitige Unlust, sich zu rasieren, stets zu uns durch. Zum Glück.

Denn an Maradonas Beispiel lässt sich zeigen, was durch Dieter Bohlens Sendung eher vertuscht wird: was nämlich ein Superstar ist. Dass so einer faszinieren und irgendetwas Besonderes können muss, ist eh klar. Hinzu kommt, dass man über einen Star zwar vieles, aber nicht alles weiß. Etwa, um ein willkürliches Beispiel zu wählen: Kokst er noch?

Dass ein Star polarisieren muss, ist auch klar: Ohne seine Feinde, die den Prollrüpel Maradona hassen, wäre er nie so geliebt und verehrt worden. Ein stets netter und höflicher Star wird bekanntlich dafür gehasst, dass er stets nett und höflich ist (vgl. Gutmenschenphänomen). Dann muss ein Star gut aussehen, sollte dabei aber noch irgendetwas Eckiges aufweisen – in Maradonas Fall ist der Bauch die Ecke. Ein Superstar sollte auch schon mal tief gefallen sein: Auch da hat Maradona mit Koks, Prostituierten und Knast einiges zu bieten. Ein weiterer Baustein in der Soziologie des Superstars lautet: Auch andere Stars müssen ihn verehren oder zumindest interessant finden, siehe Fabrizio Miccoli.

Letztlich aber: Ein Superstar kann so doof, so exzentrisch, so durchgeknallt sein, wie er möchte – er wird nie belächelt, sondern wird immer so ernst genommen, als wäre er ein enger Freund oder gehörte zur Familie. Wenn er scheitert, nimmt der Fan das als zumindest partiell eigenes Scheitern wahr und will seinen Star bemitleiden und trösten. Wenn der Star Erfolg hat, ist das auch der eigene Erfolg, was sich im Tragen von Schals, T-Shirts und Kappen prima ausdrücken lässt.

Leider weiß ich allerdings nicht, ob Diego Maradona heute Nacht gut geschlafen hat.

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