: Tröstliche Symmetrie
Die Retrospektive zum Werk des Romantikers Caspar David Friedrich im Essener Folkwang Museum feiert einen Maler, dessen Aktualität immer beschworen wird, wenn die Wirklichkeit zu rau wird
VON KATJA BEHRENS
Nebelige Bergwiesen und zerklüftete Felsenlandschaften, ein düster verhangener Nadelwald, Ruinen, Kreuze, einsame Bergspitzen, dunkle, schneebedeckte Bäume, ein weites Meer, wenige Menschen, verwunschene Friedhöfe, dann wieder Natur so weit das Auge reicht. All diese Motive, traurig wie tröstlich, erscheinen uns heute als repräsentativ für die deutsche Romantik, gelten als Beleg für eine Grundstimmung des frühen 19. Jahrhunderts. Und natürlich denken wir sogleich an Caspar David Friedrich (1774-1840), denjenigen deutschen Maler, dessen Werk wie kein zweites die innere Zerrissenheit des Individuums an der Epochenschwelle zum 19. Jahrhundert verkörpert.
Die Retrospektive, die das Folkwang Museum dem Werk Friedrichs nun widmet und die unter der Schirmherrschaft der schwedischen Königin Silvia steht, ist wahrscheinlich die umfassendste, die je stattgefunden hat. Kurator Hubertus Gassner, der eigentlich schon seine neue Stelle an der Kunsthalle Hamburg angetreten hat, ist glücklich, den größten Teil der angefragten Werke überhaupt bekommen zu haben, sagte er. Insgesamt sind es gut 70 Gemälde und 120 Papierarbeiten – mit dabei zwei Transparentbilder aus dem Spätwerk, die wie eine Art Varieté-Version der nächtlichen Stimmungsbilder wirken.
1774 wurde Caspar David Friedrich im damals noch zu Schweden gehörenden Greifswald geboren. Die meiste Zeit seines Lebens aber verbrachte er in Dresden. Dort pflegte er Kontakt zu verschiedenen künstlerischen und literarischen Kreisen, lernte den Maler Philipp Otto Runge kennen und fand Anschluss an die Kreise der Frühromantiker, die, wie etwa die Philosophen Fichte und Schelling, die Kunst als ein Mittel sahen, in der Natur die Seele sichtbar zu machen. Nachdem Friedrich 1806 endlich der Durchbruch als Landschaftsmaler gelungen war, begann sein Ruhm schon in den 1820er Jahren wieder zu verblassen. Heute aber, das sollen die drei Videoarbeiten von Kimsooja, Darren Almond und Olga Chernysheva im Untergeschoss der Ausstellung zeigen, wird mit den Motiven und der Poesie der Romantik auch in der Kunst wieder ironisch gespielt.
Zur Zeit der französischen Besatzung in den frühen 1810er Jahren, zwischen Revolution und Restauration, versuchte Friedrich seine religiösen und politischen Überzeugungen in verschlüsselten Motiven zu verbreiten: ein in altmeisterlicher Manier malender Patriot, der die klassizistischen, vom Historismus geprägten Ideale einer mythologisch-antikisierenden, müden Bildgestalt ablehnte, um statt dessen eine subjektiv-reflektierende, Mensch und Natur vermittelnde Kunst zu propagieren. Friedrichs Nähe zu den freiheitlich-liberalen Ideen der Freimaurerloge etwa ist an Werken wie dem „Tetschener Altar“ (1807/08) mit seiner überladenen Symbolik abzulesen.
Dass die dichte Inhaltlichkeit indes nur eine Seite der Kunst Friedrichs ist, lässt sich nun anhand der vielen Gemälde und Zeichnungen nachprüfen. Die Montage verschiedener Skizzen zu komplexen Landschaften macht deutlich, wie der Maler seine Kompositionen zusammensetzt. Die Brüche innerhalb eines Bildes deuten darauf hin, wie er verschiedene Bildebenen ineinander schiebt, Perspektivsprünge ausdrücklich einkalkuliert.
Schon für das Erlebnis des berühmten Bildes der „Kreidefelsen auf Rügen“ (1818) und der schwindelerregenden Sogwirkung, die dort die verschiedenen Perspektiven haben, lohnt der Weg nach Essen. Die Malerei, auch in ihrer mitunter fast penetranten Symmetrie und sehnsuchtsvollen Dramaturgie, ist zweifellos meisterlich. Und so ist die gesamte Ausstellung zum Werk Caspar David Friedrichs ein Wechselbad – und entspricht auch darin vielleicht dem Gefühl nicht nur jener historischen, sondern auch unserer eigenen Zeit.
Folkwang Museum Essenbis 20.8.2006 Katalog 29 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen