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Der Kopf geht

Urs Dietrich verlässt das ästhetisch innovative Bremer Tanztheater. Dem steht eine deutliche Zäsur bevor

Aus Bremen hatte sich das traditionelle Ballett längst verabschiedet. Schon Mitte der 60er Jahre entwickelte Johann Kresnik hier sein „Choreografisches Theater“, das politisch Stellung beziehen wollte. Kresnik zertrümmerte die alten Ballettstrukturen, Reinhild Hoffmann sorgte für internationale Beachtung, seit 1994 prägt der Schweizer Urs Dietrich die längst in „Tanztheater“ umbenannte Kompanie. Jetzt hat er sich entschlossen, Bremen zu verlassen.

Damit stehen weitreichende Veränderungen an. Kommendes Jahr übernimmt der derzeitige Direktor der Dresdener Semperoper, Hans Joachim Frey, die Intendanz des Bremer Theaters, zu dem das Tanztheater gehört. Frey hätte Dietrich nach eigenem Bekunden „die Tür offen gehalten“, doch Dietrich bevorzugt das Leben eines frei schaffenden Choreografen. Aus Spargründen soll die Bremer Kompanie künftig eng mit den Oldenburger KollegInnen kooperieren, möglicherweise auch für die Betanzung von Opern und Musicals zuständig sein.

Bisher bildeten die Bremer TänzerInnen ein ungewöhnlich geschlossenes Ensemble, das sich auf die Entwicklung eigener Stücke konzentrierte. Dietrichs choreografische Sprache, 2004 mit dem Kritikerpreis für Tanz ausgezeichnet, ist präzise, puristisch und oft auch lustig. Auf einen Nachfolger will sich Frey bisher nicht festlegen – zumal diese Entscheidung zusammen mit dem Oldenburger Intendanten zu treffen sei.

Ein möglicher Kandidat für den Posten des Bremer Tanzchefs ist der Ex-Dresdener Stephan Thoss, derzeit Ballett-Direktor in Hannover – und demnächst ohne Engagement. Inhaltlich wär das eine moderat-moderne Wahl, die nicht zuletzt zu dem wesentlich konventioneller geprägten Oldenburger Staatstheater passen würde.

Frey selbst kommt aus einem Theater, dessen Kompanie dem klassischen Repertoire verpflichtet ist, „Schwanensee“, „Nussknacker“, „Gisèlle“ und ähnliche Traditionsromantik wird in Dresden gern gezeigt. Immerhin verspricht Frey, „mit Sicherheit kein klassisches Ballett“ zu machen, auch Schwanensee „im Augenblick nicht“. „Die Wahrheit“ zwischen modernem Tanztheater und konventionellem Ballett liegt für ihn „in der Mitte“. Eine Verortung, die Kresnik, wäre er tot, im Grab rotieren ließe.

Henning Bleyl

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