: Viel mehr als 90 Minuten
FUSSBALL „Warum halb vier?“ (Do., 21.45 Uhr, WDR) zeigt die Emotionen, die das Spiel auslöst
VON JAN SCHEPER
Joachim Król hat glänzende Augen. Er sitzt auf einer kleinen Tribüne, dahinter erhebt sich majestätisch die aktuelle Spielstätte der Dortmunder Borussia. „Der Fußball hier ist so was wie Sonne, Mond und Sterne – der war immer da“, sagt Król, der von einer Zeit erzählt, als Stadien noch „Rote Erde“ oder „Glückauf-Kampfbahn“ hießen und es für einen Jungen aus Herne das Größte war, die Heimspiele der Westfalia zu sehen.
„Warum halb vier“ heißt die Dokumentation von Axel und Lars Pape, die der WDR heute erstmals im Fernsehen zeigt. Bereits 2006 lief die Fußball-Hommage im Kino und wurde mit Lob überschüttet – zu Recht. Denn die Autoren haben es verstanden, „das Tempo aus dem Spiel zu nehmen“, wie es so schön unter Experten heißt. Angenehm ruhige Bilder sind eine Stärke des – na, klar – rund neunzig Minuten langen Films. Die Schnitte zwischen den Geprächspassagen verlaufen fließend. Es ist auch mal Zeit, einem Rentner, der den Linienrichter bei einem Kreisklasse-Derby gibt, zuzuschauen. So ist Platz für viele persönliche Geschichten, rund um Deutschlands beliebteste Ballsportart: Rudi Völler berichtet von seiner durchwachsenen Anfangszeit in der Nationalelf, Fredi Bobic schildert, wie er seinen Kontostand in der Boulevard-Presse wiederfand, und Rudi Assauer gibt sein Innenleben bei dem dramatischen Meisterschaftsfinale 2001 preis. Die Profis nehmen aber nur Nebenrollen ein, denn die eigentlichen Hauptdarsteller der Doku stehen sonst nicht im Flutlichtkegel.
Stellvertretend für die unzähligen Hobbykicker des Landes melden sich Manni und Heinz zu Wort, die eine lange Fußballfreundschaft verbindet. Nur beim Thema Frauen wird es für die rheinischen Ballfanatiker schwierig, wenn es mal mit der Zeiteinteilung zwischen ehelichen Pflichten und Ascheplatz am Samstag nicht mehr stimmte. „Dann war der Sonntag auch kaputt“, muss Heinz durchaus schuldbewusst zugeben.
Mit den „Girls United“ aus Düsseldorf hätten Manni und Heinz den Stress mit Sicherheit nicht gehabt. Die fünf „Engel für Fortuna“ gehen regelmäßig selbst ins Stadion, ganz egal ob ihre Männer das gut finden oder nicht.
Auch für Sebastian Schneider wollte eigentlich Fußballprofi werden. Doch dieser Traum platzte früh: Seine Mutter schickte ihn kurzerhand in Gummistiefeln zum Probetraining, weil es regnete. Aus lauter Frust ist er schließlich Sportmediziner geworden und betreut heute den FC St. Pauli.
„Warum halb vier“ gibt treffend, offenherzig und nachvollziehbar Auskunft über das Identität stiftendene „Gesellschaftsmodell Fußball“, indem es alle Beteiligten einbezieht: Fans und Spieler, Vereinsfunktionäre ebenso wie Betreuer und Journalisten. Er brauche den heutigen „Firlefanz“ nicht, bekennt Joachim Król am Ende, denn eigentlich gehe es beim Fußball doch nicht um die Akteure unten auf dem Rasen, sondern um die Leute oben auf den Tribünen, mit denen man das Gesehene und Erlebte teilen könne. „Es werden immer mehr schöne Geschichten, die man sich erzählen kann“, sagt er und lächelt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen