: Verfall ist Scheiße
WUCHT Steht Philip Roth drauf, liest sich wie Philip Roth und ist Philip Roth drin: „Die Demütigung“
Die einen sagen: Philip Roth ist der großartigste Schriftsteller unserer Zeit. Die anderen sagen: Philip Roth ist ein alternder Potenzsack, dessen Bücher sich nur um das eine drehen und in denen vorzugsweise junge Frauen von älteren Männern verführt werden.
Recht haben alle. Philip Roth ist der großartigste Schriftsteller unserer Zeit, und in seinem neuen Roman geht es wie in einigen anderen vorher darum, dass eines seiner Alter Egos mit Alter und Verfall zu kämpfen, aber auch immer noch genügend Schnitte bei jungen Frauen hat. In „Die Demütigung“ schafft es Protagonist Simon Axler, der als Schauspieler Welterfolge feierte und der von einem Tag zum anderen seiner Bühnenpräsenz verlustig ging, so dass er der Karriere Lebewohl sagen musste, sogar, „eine Lesbe zu drehen“.
Die Lesbe ist Pegeen Stapleford, die Tochter eines Jugendfreundes, gut zwanzig Jahre jünger und Dozentin an einem benachbarten College – und taucht just dann auf, als Axler nach mühsam überstandenem Nervenklinikaufenthalt, geplagt von Rückenschmerzen und geistig wie moralisch am Ende, sich bereits mit dem Gedanken an Selbstmord beschäftigte. Stattdessen aber beginnen die beiden eine Liebesbeziehung, bauen an einer bürgerlichen Fassade und scheinen glücklich. Sie lässt sich die Haare wachsen, er kauft ihr neue Kleider. Nur zurück ans Theater will Axler nicht mehr.
Aber das Glück ist brüchig. Bevor jedoch alles zugrunde geht, kommt die Roth-Anhängerschaft natürlich auf ihre Kosten. Es gibt witzige Beschreibungen von Geschlechtsverkehr, wo Sexspielzeug und Rückenschmerzen entscheidende Rollen spielen; es geht um die Probleme, die Verfall und Verlust auch von intellektuellen Fähigkeiten bedeuten; es taucht eine eifersüchtige Ex-Geliebte auf und schwierige Schwiegereltern in spe, die ja wie gesagt Jugendfreunde des Schauspielers sind. Schließlich gabeln Axler und Pegeen noch eine junge Frau auf, so dass es zum flotten Dreier kommt. Das alles und noch viel mehr, wie beispielsweise die sehr empathisch wirkenden Passagen, die in der psychiatrischen Klinik spielen, auf 138 sparsam bedruckten Seiten.
Ein Kurzroman, der in Sachen Wucht, Spannung, Lakonie, Witz, Anspruch usw. kaum zu wünschen übrig lässt. In Philip Roth’ Gesamtwerk wird „Die Demütigung“ trotzdem keinen der vorderen Plätze einnehmen: Das Thema Alter und Liebe hat er in „Jedermann“ wesentlich präziser und einnehmender auserzählt. Die moralische Ebene der „Demütigung“ ist von der ersten Seite an klar: Verfall ist Scheiße. Da helfen auch keine amourösen Erfolge, selbst dann nicht, wenn sie uferlos sind (ein alternder Schauspieler polt eine jüngere Homosexuelle um, so was kann einem wirklich nur Roth erzählen). Trotzdem verblüfft die selbst für Roth unterschwellige Moral, die ebenfalls etwas in die Jahre gekommen scheint – Bürgerlichkeit als Ziel. Das schließlich von Homosexualität unterlaufen wird. Die Idee einer offenen, freien Beziehung bei Akzeptanz aller Differenzen kommt hingegen nicht auf – auf anderer Ebene ist Roth damit sogar wieder sehr zeitgemäß.
Sprachlich ist das Buch natürlich tadellos, allerdings auch konventionell und mit Auge auf Verfilmung erzählt. Pointiert, würden die einen sagen, zu knapp, die anderen. Nachahmen muss man ihn noch lange nicht – in Sachen anspruchsvoller Unterhaltung bleibt Roth aber das Maß aller Dinge. RENÉ HAMANN
■ Philip Roth: „Die Demütigung“. Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren. Hanser, München 2010, 144 Seiten, 15,90 Euro
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