: Umkämpftes Herzland
AUS PRIŠTINA ERICH RATHFELDER
Albert Rohan ist ein gewiefter Diplomat. Er gilt als der Doyen der österreichischen Außenpolitik. Die Minister kamen und gingen, der höchste Beamte des Ministeriums aber blieb über Jahrzehnte und formte ganze Generationen von österreichischen Diplomaten. Der inzwischen pensionierte „Generalsekretär“ des Außenministeriums verkörpert die Kontinuität der Politik eines Landes, das in diesem Teil Europas über großen Einfluss verfügt.
Dass der Österreicher Albert Rohan im Auftrag der UN die Verhandlungen zwischen Serbien und dem Kosovo leitet, ist also kein Zufall. Die knifflige Aufgabe verlangt ein besonderes Fingerspitzengefühl, verlangt Erfahrung. Und über die verfügt Albert Rohan. Er kannte das alte Jugoslawien, war während der Kriege der 90er-Jahre in Slowenien, Kroatien, Bosnien, dem Kosovo und Mazedonien präsent, versuchte immer wieder mäßigend einzugreifen. Und er ist von allen Seiten anerkannt: von den fast zwei Millionen Albanern des Kosovos, weil er seit Beginn des Konfliktes den ehemaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milošević scharf kritisierte und die Menschenrechte der Albaner verteidigte. Bezeichnend ist, dass einer der wichtigsten Berater des kosovoalbanischen Verhandlungsteams, Enver Hoxhaj, seine Doktorarbeit bei Rohan an der Wiener Universität machte. Aber auch die Serben akzeptieren ihn, weil es ihm gelang, trotz aller Unterschiede der Auffassungen die Gesprächsfäden nie abreißen zu lassen. Einige Akteure der jetzigen serbischen Politik, so der Präsident des Landes, Boris Tadić, kennen ihn schon lange. Gerade die ehemaligen serbischen Oppositionellen wissen nur zu gut, dass Rohan sich für sie jahrelang eingesetzt hat.
Im Grunde also müsste es derzeit gut laufen bei den Verhandlungen – nicht zuletzt wegen Rohan. Doch trotz all dieser ziemlich guten Voraussetzungen wird der ursprüngliche Zeitplan für die Verhandlungen, die natürlich in Wien stattfinden, wohl kaum eingehalten werden können. Denn nach wie vor gleicht eine Lösung des Konflikts der Quadratur des Kreises. Auf beiden Seiten beharrt die Öffentlichkeit auf ihren Maximalforderungen.
In der serbischen Geschichtsauffassung gilt das Kosovo nach wie vor als Herzland der Nation des Mittelalters und gehört unverrückbar zu Serbien. Die Serben betrachten demgemäß die albanische Bevölkerungsmehrheit bestenfalls als Minderheit im eigenen Land, nicht jedoch als eine gleichberechtigte Nation. Aus diesem Verständnis heraus ließ der inzwischen verstorbene Milošević 1989 den im kommunistischen Jugoslawien gewährten Autonomiestatus der damals autonomen serbischen Provinz aufheben, die Albaner aus allen Stellungen des Staates und der Wirtschaft entfernen und im Kosovo eine ethnisch bestimmte Diktatur errichten. Mit den Aktionen der albanischen Widerstandsarmee UÇK seit 1996 verschärfte sich der Konflikt.
Erst durch das Eingreifen der Nato 1999 kam die Wende, Serbien wurde bombardiert, im Gegenzug eine Million Albaner vertrieben, Milošević musste schließlich nachgeben. Nato-Truppen marschierten im Juni 1999 im Lande ein, nun floh ein großer Teil der serbischen Bevölkerung nach Serbien. Seither verwaltet eine UN-Mission das Land. Der endgültige Status des Kosovos wurde damals nicht entschieden. Die schmerzliche militärische Niederlage veränderte die Haltung der großen Mehrheit der serbischen Bevölkerung in Bezug auf das Kosovo jedoch nicht. Und das spielt natürlich bei den jetzigen Verhandlungen eine Rolle.
Ein Klotz am Bein
Zwar gibt es inzwischen Stimmen aus dem demokratischen Lager der Gesellschaft, die das Kosovo als Klotz am Bein der serbischen Politik ansehen und endlich das Verhältnis des Landes zu allen Nachbarn, auch den Kosovoalbanern, normalisieren wollen. Sie sehen die Perspektive, in die EU aufgenommen zu werden, als wichtiger an. Doch diese Stimmen repräsentieren nicht die Mehrheit. Und das weiß natürlich die Regierung, auch wenn manche ihrer Mitglieder insgeheim diese Meinung teilen. Keine serbische Regierung darf sich beim Kosovo zu kompromissbereit zeigen, ohne selbst in Gefahr zu geraten.
Die serbische Gesellschaft befindet sich dieser Tage ohnehin in einer der größten Zerreißproben ihrer Geschichte. Die Regierung unter Ministerpräsident Vojislav Kostunića konnte sich nicht einmal gegen Widerstände aus dem nationalistischen Lager durchsetzen und den vom Haager UN-Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien gesuchten Exgeneral Ratko Mladić ausliefern. Die EU unterbrach am letzten Mittwoch die Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen.
Abstimmung in Montenegro
Und es kommt bald noch dicker: Am 21. Mai steht die Volksabstimmung in Montenegro über die Unabhängigkeit des Landes von Serbien an. Und das wird wohl das Ende des Staatenbundes Serbien-Montenegro bedeuten. Auch die kosovoalbanische Verhandlungsdelegation steht unter Druck. Die Mehrheit will die Unabhängigkeit, vor allem die jüngere Generation, deren Kindheit durch die Repression des serbischen Staates, durch Flucht, Flüchtlingslager und Angst geprägt ist, will nichts mehr mit Serbien zu tun haben. Viele befürchten, allein die Verhandlungen verhinderten die staatliche Unabhängigkeit, sie führten zwangsläufig zu einem Kompromiss. Und jeglicher Kompromiss schade der albanischen Sache.
Seit dem Tode des Expräsidenten und Übervaters Ibrahim Rugova im Januar dieses Jahres, der prinzipientreu zur Unabhängigkeit des Landes stand, trauen viele Kosovoalbaner den eigenen Politikern nichts mehr zu. Denn einflussreiche politische Figuren wie der ehemalige UÇK-Kommandeur Ramush Harandinaj stehen im Geruch, durch Korruption und Schutzgelderpressung zu Reichtum und politischem Einfluss gekommen und damit erpressbar zu sein. „Die internationalen Institutionen wissen genau über diese Leute Bescheid und können sie zum Nachgeben zwingen“, sagt etwa Albin Kurti. Der ehemalige Studentenführer, den die serbische Polizei nach dem Nato-Angriff auf Serbien 1999 verhaftete, überlebte eine fünfjährige Odyssee durch serbische Gefängnisse. Er wurde gefoltert, sollte gebrochen werden. Doch der knapp Dreißigjährige ist nach wie vor ein politisch einflussreicher Aktivist. Und er droht damit, eine Demonstrationsbewegung zu entfachen. „Allein schon der Umstand, dass nicht zwischen Serbien und Kosovo über die Unabhängigkeit verhandelt wird, sondern Serbien mit Kosovo über die Interna Kosovos verhandelt, ist ein Skandal.“ Kurti spielt auf Rohan an. Dieser hatte von Beginn der Verhandlungen im Februar an versucht, die großen Fragen runterzubrechen und erst einmal Lösungen für wichtige Detailprobleme zu finden: für die Wirtschaft oder die Frage der serbischen Minderheit im Lande. Noch immer leben um die 100.000 Menschen in zwölf Enklaven. Mit Hilfe aus Belgrad hat die serbische Minderheit seit 1999 jede Zusammenarbeit mit den Albanern boykottiert, sie nahm nicht an den Wahlen zum gemeinsamen Parlament teil, obwohl sie dort überproportional vertreten wäre.
Die serbische Regierung hilft der serbischen Minderheit finanziell, Staatsangestellte wie Lehrer oder Polizisten beziehen neben dem kosovarischen ein zweites, serbisches Gehalt. Nach den Angriffen von Albanern im März 2004 auf die Enklaven fordert sie eine eigene Polizei. Letztlich will die serbische Seite den Enklaven den Status von unabhängigen Gemeinden geben. Zwar hat die UN-Mission signalisiert, den Serben in den Sicherheitsfragen entgegenzukommen, doch fordert sie auch, im Gegenzug ihre Boykotthaltung gegenüber den kosovarischen Institutionen aufzugeben.
Für die Albaner aber kommt eine „Republika Srpska“, eine selbst verwaltete serbische Entität nach bosnischem Vorbild im Kosovo nicht in Frage. „Hier gibt es keine Möglichkeit für Kompromisse“, sagt Professor Enver Hoxhaj, „einen Staat im Staate wird es nicht geben.“ Politiker wie Bujar Bukoshi, der ehemalige Premierminister des kosovarischen Untergrundstaates während der Milošević-Zeit und kritischer Beobachter, sieht es bereits als negatives Zeichen, dass überhaupt über gesonderte Gebiete für die serbische Minderheit im Land verhandelt würde. Neunzig Prozent der Bevölkerung sei albanisch, sagt er, wie in Slowenien 90 Prozent Slowenen seien. Niemand sei aber auf die Idee gekommen, vor der Unabhängigkeit Sloweniens dort gesonderte Gebiete für die italienische oder ungarische Minderheit einzufordern. „Sollen die anderen Minderheiten im Kosovo wie die Türken, Goranj, Bosniaken und Roma ebenfalls Territorien zugewiesen bekommen?“, fragt er. „Was wir brauchen, ist ein Bürgerstaat, in dem die Bürger aus allen Nationalitäten die gleichen Rechte haben.“
Albert Rohan hat die Verhandlungen letzte Woche unterbrochen. Er wird erst einmal in beide Hauptstädte reisen und Gespräche mit beiden Seiten führen. Ob er aber den gordischen Knoten durchschlagen kann, ist mehr als fraglich. Schon werden wichtige Mächte unruhig. Die US-Regierung setzt klar auf die Unabhängigkeit Kosovos, die mit einer Perspektive für die EU-Integration beider Staaten gekoppelt werden soll. Der vor wenigen Tagen abgelöste britische Außenminister Jack Straw erklärte auf einer Außenministerkonferenz der EU unverblümt, kein Weg führe an der Unabhängigkeit Kosovos vorbei. Doch in der EU wollen die meisten Staaten die Verhandlungen abwarten. Albert Rohan, das ist zumindest sicher, wird noch viele Male zwischen Belgrad und Priština pendeln müssen.
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