: Warten auf die entscheidende Schlacht
ULTIMATUM Gespenstische Ruhe im Geschäftsviertel, die Rothemden verbarrikadieren sich. Einer ihrer Kommandeure erliegt seinen Verletzungen
AUS BANGKOK NICOLA GLASS
Bei den Barrikaden in der Henri-Dunant-Straße ist ein schmaler Spalt offen: Die Wachen der Rothemden winken die Leute durch, signalisieren aber jedem: Sei auf der Hut, hier kann jeden Moment etwas passieren. Hinter dem Wall aus Bambusstöcken, Autoreifen und Steinkübeln ist Rothemdengebiet. Am Montag sind es immer noch mehrere tausend Demonstranten, die der Hitze, dem Gestank und ihrer eigenen Angst trotzen: der vor einer Niederschlagung durch die Armee.
Zelte, Planen und Matten, mobile Toiletten und kleine Garküchen ziehen sich entlang einer Straße, die eigentlich als eine der schicksten Einkaufs- und Hotelmeilen in Bangkok gilt. Eingequetscht zwischen zwei Luxuskaufhäusern, steht der Tempel Wat Pathum Wanaram. Hier haben etliche Ältere, Frauen und kleine Kinder Zuflucht gesucht, nachdem die Regierung am Sonntag klargemacht hatte: Bis Montagnachmittag, 15 Uhr Ortszeit müssen die Rothemden das von ihnen belagerte Viertel verlassen haben. Ansonsten wird die Armee die Proteste gewaltsam auflösen. Auch der Wat-Pathum-Wanaram-Tempel liegt an der „roten“ Meile. Aber die Menschen hoffen, dass die Soldaten wenigstens nicht bis hierher vordringen, sollten sie tatsächlich kommen. Ihre roten T-Shirts tragen die meisten Protestler mittlerweile nicht mehr – aus Sicherheitsgründen.
Gerade biegt Niramoon Thanagoon um die Ecke der Klostermauer, eine schmale Frau in grauem T-Shirt. Sie weint heftig. „Viele unserer Freunde sind bereits getötet worden, warum kommen uns die UN nicht zur Hilfe?“, fragt die 64-Jährige. „Was geht in den Köpfen unserer Regierung vor? Wir wollen einfach nur Frieden, und das bedeutet Demokratie.“
Sie spricht mit wachsender Verzweiflung: „Wir sind doch keine Terroristen oder Idioten, als die die Regierung uns hinzustellen versucht.“ Bitter setzt sie hinzu: „Thailand wurde immer das Land des Lächelns genannt, jetzt ist es das Land der Tränen.“
Außerhalb der Klostermauern geht die Demonstrationsmeile weiter. Die Haupttribüne ist nur wenige Gehminuten entfernt. Die Tribüne hatten die Roten Anfang April errichtet; seitdem halten sie den Geschäftsbezirk besetzt. Es ist heiß und feucht an diesem Montag, trotzdem harren die Menschen weiter aus – darunter auch Frauen, die nicht in den angrenzenden Tempel flüchten wollten. Einige heben die Hand, machen das Siegeszeichen. „Vielen Dank, dass Sie gekommen sind!“, ruft eine Frau ausländischen Journalisten zu.
Auf der Bühne sprechen nacheinander zwei der führenden Köpfe der Vereinigten Front für Demokratie gegen Diktatur (UDD), wie sich die Roten offiziell nennen. Es sei das Recht der Menschen, für Demokratie zu kämpfen, sagen Jaran Ditapichai und Weng Tojirakarn. Haben sie keine Angst davor, dass die Armee anrücken könnte? „Nein“, sagt Weng Tojirakarn, „und ich bleibe hier bei meinen Leuten.“ Der Mediziner führte 1973 Studentenproteste gegen Thailands Militär an; er weiß, wovon er spricht. „Ich habe auch keine Angst, verhaftet oder getötet zu werden, denn ich will nicht in einem Land leben, in dem Ungleichheit und Ungerechtigkeit herrschen.“
Auf der Straße schräg hinter der Bühne hocken zwei Männer auf Truhen. Einer der beiden sieht zu Tode erschöpft aus und so verbittert, als habe er alle Hoffnung verloren. „Wisst ihr, was heute morgen passiert ist?“, fragt er. „Seh Daeng ist tot.“ Er zeigt die SMS-Nachricht, die auf seinem Handy eingegangen ist. Der „Rote Kommandeur“ (siehe Artikel unten) war vor wenigen Tagen in den Kopf geschossen worden. Ein Rothemden-Sprecher vermutet, dass ein Armeescharfschütze diesen Auftragsmord begangen hat – was das Militär bestreitet. Vor allem innerhalb eines radikaleren Flügels der Roten hatte Seh Daeng, mit richtigem Namen Khattiya Sawasdipol, viele Bewunderer.
Außerhalb von „Red Shirt City“ finden Kämpfe statt. Die abgeriegelten Straßenzüge gleichen einer Geisterstadt. Dennoch dröhnen durch die für Bangkok ungewöhnliche Stille immer wieder Schüsse und Einschläge schwerer Feuerwerkskörper – so auch an der Rama Vier, einer nahe liegenden Verkehrsader. Dort schießen seit Tagen Soldaten auf eine Gruppe von Rothemden und deren Unterstützer, die selbst gebaute Raketen und Steinzwillen abschießen. Die Armee feuert mit Gummigeschossen und Schrot, aber auch mit scharfer Munition. Die Roten stecken Barrikaden aus Autoreifen in Brand. Der dichte schwarze Rauch vernebelt die Sicht – er ist über weite Teile der Stadt zu sehen. Die Gewalt hat Bangkok im Griff.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen