OFF-KINO: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Der Beginn des Mythos und seine Reflexion viele Jahre später: Als John Ford 1939 John Wayne die Hauptrolle in seinem Western „Stagecoach“ anvertraute, war Letzterer lediglich ein B-Film-Held, der zuvor in einem Haufen Serials gespielt und seine erste Hauptrolle in Raoul Walshs „The Big Trail“ völlig vermasselt hatte. Doch als sympathischer Revolverheld, der sich gemeinsam mit anderen Reisenden in einer Postkutsche durch ein gefährliches Indianerterritorium bewegt, kam Wayne groß heraus. Nicht zuletzt, weil Ford die Mischung aus glaubhaften Charakterstudien der Reisenden, packenden Actionsequenzen und tollen Landschaftsaufnahmen perfekt in der Balance halten konnte. Dreiundzwanzig Jahre später drehten Ford und Wayne mit „The Man Who Shot Liberty Valance“ (1962) ihren letzten gemeinsamen Western, der nicht nur die Mythen des Genres hinterfragt, sondern eben auch die Rolle, die Wayne über so viele Jahre erfolgreich spielte: das Raubein, das mithilft, dem Westen die Zivilisation zu bringen – und sich damit schließlich selbst überflüssig macht. Denn tatsächlich ist er der Mann, der den berüchtigten Revolverhelden Liberty Valance erschoss, und nicht sein Freund (James Stewart), ein harmloser Anwalt, der eine politische Karriere auf dem Glauben der Leute gründet, er sei es gewesen. Doch als er viele Jahre später die Wahrheit verkündet, will sie niemand mehr hören: Der Mythos ist wahrer geworden als die Wirklichkeit. (Stagecoach, OF, 22. 5.; The Man Who Shot Liberty Valance, OF, 23. 5. Arsenal)
Eine an multipler Sklerose erkrankte junge Frau (Sylvie Testud) begibt sich auf eine Wallfahrt nach Lourdes. Nach einigen Tagen kann sie wieder gehen, sogar tanzen und wird zur Wallfahrerin des Monats gekürt. Ist es ein Wunder? Zunächst einmal ist es eine Komödie, die Jessica Hausner in ihrem Spielfilm „Lourdes“ da inszeniert, eine Komödie, die den Ablauf einer Wallfahrt sehr präzise schildert, ohne sich konkret darüber lustig zu machen. Doch es bleibt ein ironischer Unterton, die berechtigte Skepsis gegenüber Massenveranstaltungen, naivem Glauben und seiner Kommerzialisierung. Auf eine stille Art sehr vergnüglich. (23. 5. Broadway)
Um augenblicklich die Freuden des Freiluftkinos zu genießen, bedarf es vermutlich einer gewissen Abhärtung oder doch mindestens mal einer warmen Decke. Trotzdem: Die Saison hat begonnen, und das einmal mehr auch mit Klassikern wie „Harold und Maude“ (1971). Hal Ashbys tragikomische Gesellschaftssatire um die ungewöhnliche Liebesgeschichte zwischen dem 20-jährigen Harold und der 80-jährigen Maude verkehrt die Erwartungen, die man aufgrund des Alters an diese Figuren stellen könnte, ins Gegenteil: Der lebendige Part ist die forsche und dynamische Maude, Harold dagegen ist innerlich fast tot, eingezwängt von gesellschaftlichen Konventionen und seinem immer korrekten Anzug. Als es Maude gelingt, ihn wortwörtlich in Bewegung zu setzen, ihn singen und tanzen zu lassen, beginnt Harolds Bekehrung zum Leben hin. (OF, 24. 5. Freiluftkino Kreuzberg) LARS PENNING
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