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„Der Grand Prix ist eine Lilie aus Plastik“

Thomas Hermanns, nach eigenen Angaben Deutschlands „bekanntester Conférencier“, hat einen Traum: Er möchte einmal den Grand Prix moderieren! Im wirklichen Leben kämpft er als Schirmherr des „Warschauer Pakts“ für die Rechte von Schwulen und Lesben in Polen. Kein Witz!

INTERVIEW JAN FEDDERSEN

Herr Hermanns, freuen Sie sich schon?

Natürlich.

Ahnt man richtig: auf den Eurovision Song Contest kommenden Sonnabend?

Ja.

Worauf freuen Sie sich speziell?

Auf den ganzen Event, speziell aber auf die Punktevergabe.

Das Thomas-Hermanns-Solo.

Nein, ja, auch. Aber ohne zu viel zu verraten: Ich werde die Punkte mit tierischer Unterstützung durchgeben. Und ich freu mich auch darauf, dass wir dieses Jahr gut abschneiden.

Sicher?

Sicher ist beim Grand Prix nichts. Aber unter die ersten zehn kommen wir, da würde ich mich festlegen.

Ist das schon gut abgeschnitten? Das hat ja fast auch Lou 2003 geschafft.

Aber eben nur fast.

Sie wurde Zwölfte.

Machen Sie die Lou nicht schlecht. „Let's Get Happy“ war ein fröhlicher Song, voller Pep und guter Laune.

Was mochten Sie an ihr?

Ich muss sagen, zu einer überschäumenden Fröhlichkeit muss man sich entschließen.

Sie gehen nicht schwarz-rot-gold in Sack und Asche, wenn Deutschland eine wie Lou oder Corinna May wählt?

Überhaupt nicht. Und ich fand „I Can't Live Without Music“ von Corinna May eine Spitzen-Grand-Prix-Lied. Das hat ja wahrscheinlich erst in der Performance verloren, aber nicht wegen des Liedes.

Sie mögen die Tradition?

Ich bin für die Klassik, ja. Ich wehr mich gegen keine Corinna, gegen keine Lou, solange das irgendwie fröhlich vorgetragen wird. Aber Texas Lightning ist ein bisschen besser.

Warum?

Das Lied ist raffinierter und kommt ein wenig zurückhaltender daher – das haut nicht so auf den Putz von der ersten Note an.

Das kann beim Grand Prix ein Problem sein.

Vor und nach Texas Lightning kommen Lieder, die vom ersten Ton an einen Krieg führen. Und das macht „No, No Never“ nicht. Es ist aber nach dem zweiten Hören nicht mehr aus dem Ohr zu kriegen – ich habe von diesem Lied sogar schon geträumt.

Muss man beim Grand-Prix nicht auf den Putz hauen?

Ja, aber Country aus Deutschland, das fällt auf. Auch das Kostüm fällt auf, der rosa Tüll – und vielleicht bringen die noch die ein oder andere Kaktee mit ins Bild. Das erfüllt den Showwert, den du brauchst, um in Erinnerung zu bleiben.

Ist das nicht alles furchtbar künstlich?

Wer nach Authentizität sucht, ist beim Grand Prix völlig falsch. Da muss man mal alte Hollywoodstars zitieren: „If you want the girl next door, go next door.“ Das ist alles ganz, ganz künstlich. Aber in der Künstlichkeit muss es natürlich beatmet werden, und das macht es ja für uns alle immer so erfreulich.

Würden Sie sich über einen deutschen Sieg freuen?

Ich bin absolut patriotisch. Grand Prix geht ohne Patriotismus nicht. An dem Abend muss man für Deutschland sein, und für Deutschland zittern, und für Deutschland zittern und sich freuen.

Summen Sie bei der Nationalhymne mit?

Nee, die ist ja schlechter als unser Lied. Mit der würden wir beim Grand Prix nicht weit kommen. Die ist einfach nicht Grand-Prix-tauglich.

Werden wir bitte grundsätzlich: Was ist der Grand Prix: E- oder U-Kultur?

Beides gleichzeitig. Er steht in der Tradition von Zirkus, Operette und Bayreuther Festspielen. Ein sehr großes Spektakel voller Emotion, die auch völlig echt ist, sich aber in ein sehr künstliches Gewand einkleidet.

Weil es um alles geht und zugleich um nichts?

Genau. Insofern ist der Grand Prix der Oper am nächsten. Die hat das ja auch oft – dass es um alles geht, aber man so hinguckt und alles künstlich, so verziffert findet. Eine Mischung aus Weihefestspielen und Jukebox.

Wieso wird dieser Event in Deutschland so hämisch betrachtet?

Weil diese Mischung für das deutsche E- und U-Verständnis sehr schwierig ist. Deutschland ist ja immer sehr gut, wenn es eindeutig ist. Dunkel, angstzerfressen, expressionistisch, traurig, romantisch. Das sind so unsere Stärken, dafür werden wir im Ausland ja auch geliebt und geschätzt.

Konkret?

Alles zwischen Anselm Kiefer und dem frühen Fassbinder wird gut angenommen, doch diese Kulturform zwischen Leichtigkeit und Übersprung und Kaskade und gleichzeitiger Emotion, die zu genießen fällt uns als Land sehr schwer. Und deshalb hat der Grand Prix ja auch immer so eine Zwitterstellung, weil er dieses deutsche Schwarz-Weiß-Denken permanent überfordert.

Einmal mit Nicole gab es einen deutschen Sieg. Aber warum gewinnt Finnland nie?

Weil die zu oft auf zu obskure Sachen setzen oder es ein bisschen zu lustig nehmen. Kaurismäki hätte auch nicht „Dallas“ verfilmen können.

In Archiven steht, Sie seien, so wörtlich, „ein bekennender Homosexueller“.

Das klingt, als stünde ich am Bahnhof mit einem Gloria-Gaynor-Fanheft auf Serbokroatisch und versuche, neue Mitglieder für meine Sekte zu finden. Nein, „bekennend“ ist ein gräuliches Wort.

Welches wäre besser?

Ich würde sagen: selbstbewusst schwul.

Ist der Grand Prix die Fußballeuropameisterschaft der Schwulen?

Schwule haben ja traditionell eine große Affinität zu dieser Veranstaltung.

Warum eigentlich?

Weil sie diese Grätsche zwischen Ernst und Übertreibung gut nachvollziehen können. Obwohl inzwischen Schwule und Heteros gemeinsam solche kulturellen Orchideen wie den Grand Prix mögen.

Ein Gewächs im Meer von Massenschnittblumen?

Sagen wir diese Lilie aus Plastik, die der Grand Prix ja so ist.

Man lobt sie für sprachliche Doppelbödigkeit, für Ironie. Hat diese als Haltung zur Welt nicht Grenzen? Irgendwas muss man doch ernst nehmen.

Natürlich hat Ironie Grenzen. Wenn ich in Deutschland für Solidarität mit dem Warschauer CSD trommle, brauche ich überhaupt keine Ironie, da geht's ums Eingemachte. Das ist nicht mehr E und nicht mehr U, das ist keine Frage des Geschmacks mehr – sondern das echte Leben.

Was bleibt für das Ironische dann noch übrig?

Es hilft, auf eine dumme Frage einzugehen. Auf die, was mein Lieblingsdrink sei, meine Lieblingsfarbe – da hilft ja nur Ironie.

Guildo Horn, hieß es, habe den Grand Prix erst erträglich gemacht, weil er zu diesem Event ein ironisches Verhältnis hatte.

Stimmt aber gar nicht. Guildo Horn war eins zu eins idealistisch. Und romantisch. Der war ja völlig direkt, das ergab eine Voll-Power-Performance ab. Der meinte auch, dass er uns lieb hat, der will uns auch lieb haben. Stefan Raab war mit „Wadde hadde dudde da“ ironisch, der hatte ein gewisses „Ich zeig’s euch mal“ drauf.

Gewonnen haben beide nicht. Kann man mit Ironie beim Grand Prix überhaupt ganz vorne landen?

Unmöglich. Man kann nur mit den ganz, ganz großen und ernsten Absichten gewinnen. Das ist so wie beim Schlager. Wenn zwei Werbetexter nach vier Pinot Grigio sagen, wir komponieren mal eben einen Schlager und machen richtig Kohle, dann klappt das nie. Man braucht einen Rest von Ernst. Die größten Schlagertexter sind hochmoralische Menschen …

wie Bernd Meinunger als Texter von Ralph Siegels Grand-Prix-Liedern?

Ja, der bestimmt auch, denn im Kern war „Ein bisschen Frieden“ völlig ernst gemeint. So ist es beim Grand Prix. Ironie geht nicht. Nicht beim Machen des Liedes, nicht bei der Performance. Damit gewinnt man keine Herzen. Das Publikum spürt, wenn es einer nicht aufrichtig meint. Texas Lightning sind Supermusiker, die lieben ihr Lied und spielen gern Country. Punkt. Deshalb hat „No, No Never“ auch Chancen.

Olli Dittrich sagt, man fährt zu einem Wettbewerb, um zu gewinnen. Ist das nicht vermessen?

Nein, wahr. Jeder, der teilnimmt an einem Wettbewerb, will gewinnen. Jeder.

Kann man nicht, beispielsweise, nach Athen fliegen und sagen: Och, gewinnen ist eh nicht wichtig.

Die paar Mal, die ich dabei war, sah ich, dass es bei jedem, der mit einem „Och“ aus dem Flieger steigt, schnell mit dem „Och“ vorbei war, wenn ins Getümmel der Proben und Partys geht. Auch die Finnen wollten immer gewinnen.

Und hinterher heißt es, ist okay, Siebzehnter geworden zu sein.

Das sagt man wohl so, wenn man Siebzehnter wurde.

Ihr Traum: dass Sie einmal die internationale Show moderieren?

Ja. Die Schaltungen in alle möglichen Städte – nach Dubrovnik, Reykjavík, Minsk, Jerusalem … Schon davon, die deutschen Punkte zu vergeben, habe ich mein Leben lang geträumt.

Was wäre, wenn Texas Lightning tatsächlich gewinnt?

Dann wird gefeiert. Wir sind ja dann in Hamburg. In der Texas-Lightning-Stadt. Dann geht dann aber richtig was ab – und wenn ich über die Reeperbahn reite.

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