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Durchbeißerin und Medienprofi

Bärbel Höhn wird zugetraut, in der Grünen-Fraktion die Akzente zu verschieben: hin zum Verbraucherschutz. Die ehemalige Ministerin gilt als nonchalant und mediengewandt

BERLIN taz ■ Selten sind mit einem Vizeposten derartige Erwartungen verknüpft: Bärbel Höhn, einst Umweltministerin in Nordrhein-Westfalen, war noch nicht gewählt als neue stellvertretende Chefin der Grünen im Bundestag, da wurde schon vorhergesagt, dass sie die kleinste Oppositionsfraktion neu positionieren wird – als Seele der Verbraucher statt als Mahner für die Umwelt.

„Die Akzente werden sich verschieben“, prophezeit Helmut Weidner, der die Grünen seit Jahren für das Wissenschaftszentrum Berlin beobachtet. Höhn wird Nachfolgerin von Reinhard Loske. Der hatte Mitte März sein Amt resigniert niedergelegt – nach einem Streit über die künftige Atompolitik der Grünen. Loske ist ein Wissenschaftler, dem das Populäre wenig liegt. Er scheiterte an den Berliner Strukturen.

Loske kämpfte für eine moderne Energiepolitik, Umweltschutz pur – und damit für grüne Herzensanliegen. Als traditioneller Öko stand er aber häufig allein da. So hatte er vor zwei Jahren zum Beispiel gefordert, die Ökosteuer zu erhöhen. Sie macht Energie teurer, dafür Arbeit aber nachweislich billiger. Doch bei Jürgen Trittin und Reinhard Bütikofer kamen die Argumente nicht an. Sie fürchteten ihre sozialdemokratischen Koalitionspartner – und die Bild mit einer Benzinwutkampagne.

Nun kommt Höhn. Die 54-Jährige aus Oberhausen hat Mathematik und Volkswirtschaft studiert, auch sie hantiert mit Daten und Studien. Aber anders als Loske weiß sie genau, was Popularität ist. Als die Vogelgrippe Anfang des Jahres nach Deutschland kam, klärte sie die Republik auf über das Virus H5N1 und die Gegenmaßnahmen – in Talkshows in Fernsehen und Radio, in Interviews zahlreicher Zeitungen. Beinahe konnte man vergessen, dass eigentlich Bundesverbraucherminister Horst Seehofer (CSU) für die Vogelgrippe zuständig ist – und der ist ja nicht gerade pressescheu.

Höhn sei „nonchalant penetrant“ und „halsstarrig durchbeißend“, meint Forscher Weidner. Die Zeit nannte die Parteilinke mal das „Biokraftwerk“. Das war, als in NRW noch Rot-Grün regierte. Und egal ob der Rinderwahnsinn oder das Krebsgift Acrylamid – die Politikerin machte Pressekonferenzen, besuchte Kuhställe und Imbissbuden. Höhn gibt sich ohnehin gern volksnah. Sie erzählt von ihrer umweltverträglichen Holzpelletheizung und davon, wie ihre Karriere begann: In einer Bürgerinitiative für saubere Luft in Oberhausen, weil einer ihrer zwei Söhne Atemnöte hatte.

Nur: In Berlin war Höhn lange Zeit nicht gefragt. Sie hat den Ruf, intern sehr ungemütlich sein zu können. Die Kollegen in Berlin, allen voran Joschka Fischer, verhinderten ihren Aufstieg in der Grünen-Hierarchie. Den Job als Verbraucherministerin bekam 2001 Renate Künast.

Derzeit fehlen den Grünen Alternativen. Für den Fraktionsvizeposten war noch Matthias Berninger im Gespräch. Der einstige Staatsekretär im Verbraucherschutzministerium war aber offenbar nicht interessiert. Höhns Wahl sollte gestern nach Redaktionsschluss stattfinden.

HANNA GERSMANN

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