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Rechte ZumutungenÜbergriffe jetzt nicht ignorieren

Dies sind sensible Zeiten – und äußerst widersprüchliche. Im belebten Prenzlauer Berg wird ein Italiener angeblich von Neonazis verprügelt. Die Empörung ist groß: Spontan demonstrieren 500 Menschen. Nun stellt sich heraus: Der 30-Jährige hat den Übergriff erfunden. Die Empörung war dennoch berechtigt.

Kommentar von Bert Schulz

Denn Neonazis dominieren an immer mehr Orten in dieser Stadt die Straße. Menschen, die aus völlig willkürlichen Gründen nicht in ihr Weltbild passen, leiden darunter. Sie werden beschimpft, verfolgt, verprügelt, manche dadurch ein Leben lang traumatisiert.

Politiker wie Innensenator Ehrhart Körting, der eigentlich für die Sicherheit zuständig ist, verschließen davor zu oft die Augen. Als der Afrika-Rat vor wenigen Wochen eine Liste mit No-go-Areas in Berlin für Menschen mit dunkler Hautfarbe präsentierte, wiegelte der SPD-Politiker ab. Es gebe keine generelle Gefährdung für bestimmte Bevölkerungsgruppen in bestimmten Gebieten, so Körting damals. Warum er das sagte, ist unklar: Denn der Afrika-Rat hat Recht.

Recht hat leider auch Uwe-Karsten Heye, einst Sprecher der rot-grünen Bundesregierung. In seiner Funktion als Vorsitzender des Vereins „Gesicht zeigen“ warnt er afrikanische Besucher der Fußball-WM vor bestimmten Gegenden in Brandenburg. „Möglicherweise“, so Heye, würden sie diese Orte „lebend nicht mehr verlassen“. Das ist deutlich – und hilfreich. Und: Heye hätte die Warnung auch auf Teile Berlins erweitern können.

Vor dem Hintergrund dieser Gefahren verblasst eine von einem Betrunkenen vorgetäuschte Straftat vermeintlicher Neonazis. Es ist mehr als bedauerlich, wenn es der Politik nicht gelingt, No-go-Areas zu verhindern. Sie zu leugnen ist widersprüchlich und gefährlich für Menschen. Sensibel zu sein für rechte Gewalt ist und bleibt deswegen wichtig.

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