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„Revolutionär wie die Internetökonomie“

RESSOURCEN Leihen, tauschen, schenken: Die Share Economy spart natürliche Lebensgrundlagen – zumindest dann, wenn sie richtig genutzt wird. Entscheidend ist etwa die Frage der Transportwege

Die Bohrmaschine, das Auto, das Abendkleid: Vieles, was wir nur selten brauchen, lagert in Haus und Wohnung. Doch das Hamstern kostet nicht nur Geld und Platz, sondern verbraucht auch Ressourcen. Was liegt näher, als zu leihen oder zu tauschen?

„Tausch- oder Leihringe sind sozial wichtige Bewegungen“, sagt Katharina Istel vom Naturschutzbund Deutschland e. V. (Nabu). Allerdings sei es nicht per se „gut“, wenn getauscht oder geliehen werde. „Es kommt auch darauf an, welche Transportwege zurückgelegt werden müssen, um die Leihgabe nutzen zu können.“ Wird zum Beispiel die geliehene Bohrmaschine beim Nachbarn oder mit dem Fahrrad abgeholt, ist das umweltschonender als ein langer Paketweg. Daher sei es aus ökologischen Gesichtspunkten sinnvoll, „vor Ort und in der Region Ausschau zu halten“, so die Referentin für nachhaltigen Konsum. Bei vielen steht nicht die Ökologie, sondern das Geld im Vordergrund: Es ist deutlich billiger, einen Gebrauchsgegenstand zu leihen, als ihn zu kaufen. „Das gilt vor allem für Werkzeuge, die man nicht jeden Tag braucht.“ Wer verleiht, will allerdings die Bohrmaschine, den Häcksler oder das Auto auch wieder in einem ordentlichen Zustand zurückbekommen. Dabei geht es um Vertrauen, aber auch um die Rechtssicherheit, dass ein möglicher Schaden ersetzt wird.

Bundesweit gibt es Hunderte von Tausch- oder Leihbörsen, viele von ihnen laufen über das Internet, manche finden im heimischen Wohnzimmer statt. Das hat Vorteile: „Wer sich die Sachen direkt anschauen kann oder sie anprobiert, spart sich die Rücksendung“, unterstreicht Istel. In Berlin hat zum Beispiel gerade ein Laden eröffnet, in dem man gegen eine monatliche Leihgebühr von 14 Euro bis zu vier Kleidungsstücke für einen Monat ausleihen kann.

Für Michael Kuhndt, Geschäftsführer des Zentrums für Nachhaltigen Konsum und Produktion (CSCP) mit Sitz in Wuppertal, ist der Gedanke einer Ökonomie, in der Produkte oder Dienstleistungen getauscht oder verliehen werden, gerade im Licht des Internet beeindruckend: „Dadurch entsteht das größte Leihhaus der Welt, vieles steht sofort zur Verfügung.“ Dass sich durch Leihen und Tauschen der Ressourcenverbrauch erheblich senken lässt, sei auch international ein Thema: „In Ländern wie China, in denen der Konsum explodiert, kommt die Infrastruktur oft nicht hinterher.“ Daher stießen Modelle, die zum Beispiel den Verbrauch von Wasser oder Energie reduzieren, auf „riesiges Interesse“. Die Share Economy hält Kuhndt für „ebenso revolutionär wie die Internetökonomie“.

Trotz revolutionärer Ansätze: Ganz neu ist der Gedanke des Leihens und Tauschens nicht. Noch immer schlendern Hunderttausende lieber in die nächstgelegene Stadtbücherei, als über den Internetversand Bücher zu kaufen. Und die getragenen Kinderkleider gingen auch schon vor 100 Jahren ganz selbstverständlich an nachkommende Generationen weiter. VOLKER ENGELS

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