: Ich bin ein Alien
Sie sortieren Kameraeinstellungen nach Farben, modellieren liebevoll Ballkleidchen aus Gips und bauen ihr Unbewusstes als Filmset nach: Ab heute darf man Jennifer und Kevin McCoy im Oldenburger Edith Ruß-Haus in die Fernseh-Seelen blicken
von Annedore Beelte
Der Rausch eines glamoursüchtigen Dr. Frankenstein: Da wird ein alleinstehendes Bein in die Höhe geschwungen, Arme ohne Rumpf fuchteln walzerbeschwingt, und zwei abgetrennte Köpfe sind in einem endlosen Kuss verschweißt. Auf jedes dieser Gliedmaßen ist eine eigene Kamera gerichtet, an einem langen, biegsamen Reptilienhals.
Wer jetzt an chirurgische Geheimlabors und die Erzeugung obskurer Mensch-Maschinen denkt, ist komplett auf dem falschen Dampfer. Im Oldenburger Edith Ruß-Haus für Medienkunst wird lediglich ein Film gedreht. Und zwar live. Mit winzigen Plastikfigürchen aus der Schatzkiste des Modelleisenbahners stellen Jennifer und Kevin McCoy das glamouröse Flair eines Fred-Astaire-Tanzfilms nach. Liebevoll hat Jennifer McCoy jedem Plastikfrauchen ein bauschiges Gipskleid modelliert. Jetzt wiegen sie sich in einer Traumkulisse aus Karussels, Drehbühnen, Balkonen. Zahllose Kameras fangen wirbelnde Draufsichten und weich gezeichnete Close-Ups ein. Ein Computerprogramm führt Regie.
Dieses Mini-Filmset, das von fern wie ein Uhrwerk aussieht, produziert berauschende Bilder, streng und beschwingt, wie es in den 1930er Jahren beim Tanzen zuging. Die Installation macht offensichtlich, wieviel kleinliche Bastelarbeit hinter den Träumen steckt, die Generationen miteinander geträumt haben. Und sie scheint zu verkünden: Film ist realer als die Wirklichkeit.
Das Oldenburger Ruß-Haus hat sich der Dekonstruktion von Medienerfahrungen verschrieben. „Mit dem Aufkommen von Video und DVDs konnte der Konsument plötzlich über das Filmmaterial verfügen: Vor- und Zurückspulen und eine Sequenz immer wieder ablaufen lassen“, sagt Leiterin Sabine Himmelsbach. Diese Erfahrung sei Ausgangspunkt für die McCoys, denen sie erstmals in Deutschland eine Einzelausstellung widmet. Das Paar aus Brooklyn, das sich an der Filmhochschule kennenlernte und seither zusammenarbeitet, analysiert das Sehen – mitunter mit pädagogischem Ehrgeiz: „We like to watch“ und „Learning to watch“ heißen frühe Arbeiten – der leicht erhobene Zeigefinger lässt sich da kaum überhören.
In Oldenburg werden zwei Installationen gezeigt, die aus einem Archiv und einem aufgeklappten Koffer bestehen, der den Bildschirm zur Bühne macht. „Every Shot, Every Episode“ erhebt schon im Titel den Anspruch, eine hieb- und stichfeste Datenbank zu sein. Die Krimiserie „Starsky und Hutch“ aus den 70er-Jahren wird hier nach 278 Kriterien neu sortiert. Jede Nahaufnahme und jeder Zoom, jedes Blau und jedes Weiß sind auf einer eigenen CD archiviert. Schluss mit Spannung und Emotion: Die Geschichte wird nach technischen Kriterien zerhäckselt. Auf die Close-Ups von Zeitbombe,Gaspedal und schweißgebadeten Gesichtern folgen weitere adrenalintreibende Kamerakniffe, aber der Betrachter winkt schon müde ab.
Ursprünglich, sagt Himmelsbach, sollte das Archiv interaktiv nutzbar sein. Doch die Technik veraltet schnell: Der CD-Player von 2000, der in die Installation eingebaut wurde, ist bereits ein Fossil, das geschont werden muss. Während „Starsky und Hutch“ 2004 ein Kino-Revival erlebten, sind die Tage von „Every Shot, Every Episode“ gezählt. „number the stars“ hat – wohl auch deshalb – den Fokus verschoben: Das Archiv zur Startrek-Staffel täuscht keine Objektivität vor.Betrachter, Helden und Künstler-Archivare verschmelzen zum diffusen „Ich“: „Ich bin ein Alien“, „Ich bin tot oder sterbe“, „Ich bin weichgezeichnet“ heißen die Kategorien.
Die Clips zeigen ein unerschöpfliches Repertoire von Pathosformeln: Immer wieder die gleiche, maskuline Entschlossenheit, wenn eine Figur auf einen Kopf drückt. Aber ob ein pappmachégeformtes Alien-Reptil oder ein enttäuschter Liebhaber vor Wut brüllt, dazwischen gibt es feine Nuancen.
Die Filmsequenz „Kiss“ bringt es auf den Punkt. Hier wird nicht mehr exzessiv gesammelt, sondern ein Archetyp isoliert. In einem einzigen Kuss resümiert sich für die McCoys das gesamte Genre „Erotischer Thriller“. Mann und Frau krallen sich aneinander. Sie scheinen sich gegenseitig auszusaugen. Andy Warhol hat geglaubt, im Kino wolle eigentlich niemand die Geschichte sehen. Stattdessen gehe es nur um den Star, den man am liebsten aufessen würde. Hier, so Himmelsbach, sei man dem Aufessen schon ziemlich nahe. Doch die Wiederholung zerstört jede Illusion. Losgelöst von der Handlung wird die Geste der Leidenschaft zu schaler Mechanik.
Seine neueste Arbeit hat das Paar speziell fürs Ruß-Haus konzipiert. In der Serie „Double Fantasy“ geben sie nicht nur Einblick in ihre Medienkonsum-Biografie, sondern reflektieren auch das Leben diesseits der Mattscheibe. Allerdings mit den Mitteln der Film-Re-Inszenierung. Diesmal wieder auf die altmodische Art: mit Plastikfigürchen, Puppenstubenmöbeln und anderen Tricks aus der filmhistorischen Mottenkiste, an zwei Drehorten aufgezeichnet und per Computer live montiert: Das Unbewusste von Jennifer und Kevin. Wir erleben die spirituellen Trance-Erlebnisse der jungen Jennifer in einer Südstaaten-Pfingstlergemeinde. Dank des Blicks in die Filmkulissen wird klar, dass die Vision in den Bäumen nur ein Plastik-Lamm ist. Jung-Kevin schluckt derweil in seiner Studentenbude LSD und gelangt zu ähnlich obskuren Visionen, in denen Gevatter Tod mit der Plastiksense eine Hauptrolle spielen: Auch sie also reproduzieren Klischees und Archetypen. Authentizität – was ist das?
Jennifer & Kevin Mc Coy, Stop Motion. Bis 16. Juli, Edith Ruß-Haus, Oldenburg
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