piwik no script img

Neonazis suchen Toten

DEMOS II In Schöneweide demonstrieren Rechtsextreme gegen Flüchtlinge und „Volksverräter“ – und provozieren außerdem mit der Frage, wo eigentlich der getötete Antifaschist Silvio Meier bleibt

„Wo ist eigentlich Silvio Meier?“, ruft Sebastian Schmidtke ins Mikro, er grinst. Auch die jungen, schwarz gekleideten Männer um den NPD-Landeschef feixen. Meier, der linke Hausbesetzer, wurde vor 21 Jahren von Neonazis erstochen. Es wird nicht die einzige Provokation bleiben.

Rund 150 Rechtsextreme sind es, die am Samstag am S-Bahnhof Schöneweide aufziehen – kurzfristig organisiert, nach einem Angriff von vermeintlich Autonomen auf den Berliner Chef der NPD-Jugend, der schwer verletzt wurde. Auch aus Leipzig, Greifswald und Hamburg sind Neonazis da. Sie treffen sich parallel zur Silvio-Meier-Demo: So wollte man sich Gegenprotest vom Hals schaffen. Doch am Bahnhof warten genauso viele Neonazigegner, abgeschirmt hinter Polizeigittern.

Gleich in der ersten Reihe hält eine Seniorengruppe ein „Berlin gegen Nazis“-Banner. Seit den Fünfzigerjahren wohne sie in Schöneweide, sagt die 71-jährige Ute Franke. „Das war immer eine schöne Gegend, das lassen wir uns nicht von den Nazis verhunzen.“ Unter den Demonstranten steht auch Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD). „Peinlich“ nennt er den Aufmarsch der Rechten.

Die hetzen gegen Linke, schimpfen über „die kriminellen Elemente“, die von „oben gedeckt“ seien, von „Volksverrätern wie Wowereit“. Erstaunlich: Denn kurz nach Aufmarschbeginn ist es ein junger Neonazi, der einem Pressefotografen eine Fahnenstange ins Gesicht schlägt.

Die Gegendemonstranten bleiben am Bahnhof zurück, einige fahren mit einem gemieteten Bus zur Silvio-Meier-Demo. Die Neonazis ziehen durch fast menschenleere Straßen nach Rudow. Schmidtke agitiert nun gegen Flüchtlinge, die Slogans verschärfen sich. „Wir wollen keine Asylantenheime“, skandiert der Aufzug. Dann: „Ruhm und Ehre der deutschen Nation!“ Ein Neonazi ruft: „Volkstod stoppen, Demokraten verkloppen!“

Als die Rechtsextremen eine Kirche passieren, läuten die Glocken zum Protest. „Gruselig“ sei der Aufmarsch, sagt eine Anwohnerin. Ein Mann spricht von „Spinnern“. Das mit den Asylbewerbern aber werde „wirklich zu viel“.

In Rudow angekommen, warten noch mal 50 Gegendemonstranten mit Trillerpfeifen. Man müsse sehr aufpassen, sagt dort die Grüne Carola Scheibe-Köster, dass die Parolen nicht auf fruchtbaren Boden fielen. „Deswegen ist der Protest heute ein wichtiges Zeichen.“

Die Neonazis beenden nach drei Stunden ihren Aufmarsch. Schluss ist für sie dennoch nicht. Von einer „Wo ist Silvio Meier“-Feier ist die Rede, wo, bleibt unklar. Die Polizei sagt, sie wisse es auch nicht. Dann verschwinden die Rechtsextremen. K. LITSCHKO

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen