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SICH DEM BIERAUSSCHANK STRIKT VERWEIGERNDES BARPERSONALIn den Fängen von Lena

VON KIRSTEN RIESSELMANN

Ein Wochenende zwischen allen Polen. Zwischen drinnen und draußen, hip und unhip, gestern, heute und morgen. Am Freitag eröffnete im Bethanien das „3 Schwestern“, die neue Gastro-Einrichtung im Casino, diesem schönen Saal im Erdgeschoss, der besonders bei früheren Auftritten der Wollsexpuppe Wollita durch seine schwiemelig braunen Wandpaneele bestach. Die Paneele sind jetzt weg. Die hinter den „Schwestern“ stehenden Macher, darunter ein White-Trash-Mitgründer, haben sich gegen den Schmier- und eher für einen wahrscheinlich altkreuzbergerisch zu bezeichnenden Schmöckcharme entschieden, will sagen: für den weißen Raum, für poshes, aber sich dem geregelten Bierausschank strikt verweigerndes Barpersonal, für eine Samba-Band und ein Publikum im Zwanzigerjahre-Tanzkleid. Hmm. Wir hatten uns auf den frischen Wind im Bethanien gefreut, blieben aber dann nicht lang.

Auf der Sanderstraße in Kreuzkölln – seitdem ich kürzlich auf dem „1. Nowkoelln Flowmarkt“ am Maybachufer einen gelben Porzellanbuddha erstanden habe, habe ich mich diesem Wort kapitulierend ergeben – feierten die neuen Nachbarinnen in ihrem Ladenlokal Baustellenparty. Es stand das euphorisierte globale Neuberlinertum herum, die Nachbarinnen, Amerikanerinnen mit kroatischem Background, wurden nicht müde, den Gründungsmythos für ihr demnächst eröffnendes Vintage-Café zu repetieren: Ein Telefonsex-Unternehmen habe die Räumlichkeiten vor ihnen behaust, crazy, vielleicht sogar, awesome, huiui, eine Pornoproduktionsfirma.

Berlin, it’s so creative

Ein Londoner mit iranischen Wurzeln wagte eine Annäherung, die auf der Weltrangliste der Abgedroschenheit zurzeit Platz eins belegt: „I love Berlin, it’s so creative!“ Dann wollte er um fünf Uhr morgens wissen, wo man jetzt noch cool hinkönne, mein zugegebenermaßen hilfloser Ansatz, ihn mit Berghain und Watergate abzuspeisen, erntete bodenlose Verachtung: „Don’t give me this tourist crap!“ Ein anderer Jungmann fand es mit ausgefeiltem US-Akzent unglaublich „amazing“, als O. zufällig so an der Wand lehnte, dass das mit 80er-Jahre-Spitzendessous bekleidete Schamdreieck eines diaprojizierten 80er-Jahre-Pin-ups genau auf sein Gesicht fiel. Auf Nachfrage sagte der Jungmann, nur ganz leicht betreten: „I’m from Gifhorn“, und weigerte sich auch nach unserem erstaunten „Gifhorn in Niedersachsen?“ hartnäckig, ins Deutsche zu wechseln.

Von der Glotze eingesaugt

Am Abend des Samstags dann –die Heerscharen der globalen Kreativklasse zogen mit Bierflaschen um sich werfend unten am Fenster vorbei – ließ ich mich entkräftet von der Glotze einsaugen. Lena, you know. Das nämlich kommt dabei raus: Kreuz und Koelln machen auf International Festival, und anstatt den begeisterten Selbstverwertern und Dauerfreizeitlern mit gereckter linker Faust freudig voranzumarschieren, sitzt man schmollend im Wohnzimmer und landet in den Fängen des nationalen Nettigkeitsrauschs. Ich habe im Eurovisions-Anschluss zur Bereinigung des schlechten Gewissens noch einen Spaziergang gemacht und erleichtert festgestellt: Nur ein lauter „Lena, wir lieben dich!“-Ruf und nur ein schwarz-rot-gold beflaggtes, hupendes Auto auf der Skalitzer Straße – der nationale Überschwang hat weiterhin nix zu suchen in SO36 (wo sollte er auch herkommen, wenn die Türken über den zweiten Platz traurig sind und die Amis, Franzosen, Iren und Gifhorner hier Besseres, Verrückteres, Kostspieligeres zu tun haben als Eurovision).

Am Sonntag wurde nicht ausgegangen, sondern rausgefahren. Ein Garten mit Steg am See in Brandenburg, der mir quasi vor die Füße gefallen ist, wollte besichtigt werden. Es ist paradiesisch dort, aber am Abend zurück in Berlin war ein sich anbahnender identitärer Zielkonflikt doch manifest spürbar.

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