: Die kleine tschechische Community
Wie es einer tschechischen Sängerin und einer tschechischen Cafébetreiberin in Berlin ergeht
Zu DDR-Zeiten pflegten viele VEB und LPG Kontakte zu tschechischen Betrieben, und man besuchte sich gegenseitig. Das ist so gut wie vorbei. Aber auch sonst meiden die Tschechen das Ausland: Nur rund fünf Prozent der in einer Studie kürzlich Befragten konnten sich vorstellen, anderswo zu arbeiten, wie die Prager Zeitung berichtete. Aus naheliegenden historischen Gründen trifft dies besonders für die BRD und Berlin zu. Die Sängerin Jana Yngland ist da fast eine Ausnahme, aber sie ist hier auch nicht besonders glücklich. Jana wurde 1959 in Hradec Králové geboren. Ihr Vater war Pianist und Leiter eines Kulturhauses, ihre Mutter war Sängerin und arbeitete ebenfalls in einem Kulturhaus.
Nach dem Einmarsch der Roten Armee 1968 verloren beide ihren Arbeitsplatz: Der Vater wurde Arbeiter, die Mutter Gemüseverkäuferin. Jana trat in Prager Jazzklubs auf. 1989 heiratete sie einen norwegischen Journalisten, mit dem sie erst nach Berlin zog, wo sie nun ebenfalls in Jazzklubs auftritt, gelegentlich zusammen mit dem ebenfalls in Berlin lebenden tschechischen Musiker Jan Sochor. Sie singen meist englische Lieder, am Schluss pflegt Sochor jedoch immer zu sagen: „Jetzt singen wir noch ein Lied aus unserer mährischen Heimat – und zwar ‚Vinecko bile‘ – Weißer Wein“.
Bei der alljährlichen Feier des tschechischen Stammtischs, die meist in einem tschechischen Lokal stattfindet, im Restaurant eines Segelklubs am Wannsee z. B., spielte zuletzt eine Tanzkapelle aus Kutná Hora auf, bei der Jana mitsang. Daneben gibt es in Berlin noch einige kleinere tschechische Kneipen: das „Schwalbennest“ in Zehlendorf, das „Böhmerland“ in Spandau und das „Goldene Prag“ in Weißensee. Über den tschechischen Mittwochsstammtisch meint Jana: „Ich bin ein paar Mal da gewesen. Der ist von 68ern gegründet worden, also von den politischen Flüchtlingen aus der Tschechoslowakei – aus Heimweh. Viele von denen haben dann in Berlin studiert, einige sind inzwischen arbeitslos geworden. Sie haben sich aber gleich nach 89 günstig ein Landhaus in Tschechien gekauft – und pendeln jetzt zwischen Berlin und Böhmen.“
Eine davon ist Hana. Sie hatte noch fünf Geschwister, und alle unterstützten sie Dubčeks Reformkurs, aber der Vater war ein strammer Funktionär. Und damit er das bleiben durfte, musste er nach 68 ein Kinderopfer bringen: Seine beiden jüngsten Töchter, Hana und ihre Schwester, fanden sich daraufhin in Westberlin wieder. Hana studierte hier Elektronik und arbeitete dann in einer Softwarefirma, ebenso wie ihr Mann, während ihre Schwester reich heiratete.
Als Hanas Mann starb, machte sie sich selbstständig: mit einer „Espressobar“ in der Steglitzer Schlossstraße. „Sie ist immer noch sehr politisch“. 2005 besuchte der Sohn des 1952 hingerichteten Innenministers Rudolf Slánský sie, um sie über die Rolle, die ihr inzwischen verstorbener Vater bei diesem Prozess möglicherweise spielte, zu befragen. Rudolf Slánský Junior hatte bereits die Dissidenten der Charta 77 unterstützt, 1991 wurde er Botschafter Tschechiens in Moskau, nebenbei forschte er nach den Hintergründen, die zur Hinrichtung seines Vaters führten. Zuletzt war er auf Einladung des Weltkongresses der Osteuropaforscher in Berlin, er starb 71-jährig im April 2006.
Zum tschechischen Stammtisch kommen neuerdings auch junge Leute, die hier studieren oder als Au-pair-Mädchen arbeiten. „Und dann gibt es da noch eine dritte Gruppe, das sind meistens Frauen, die irgendwann nach 68 einen Deutschen geheiratet haben. Die sind oft erst Hausfrauen gewesen, haben Kinder bekommen, sich dann scheiden lassen und einen Job hier angenommen. Die meisten leben hier jetzt ein ganz normales, unauffälliges Leben.“ Einige dieser Frauen treffen sich einmal im Monat privat zu einem eigenen Stammtisch, beim letzten Mal klagten sie über das zunehmend Mobbing ihrer deutschen Kollegen am Arbeitsplatz.
Außerdem gibt es noch das Tschechische Kulturzentrum, den „Czech Point“ in der Friedrichstraße und das wohl schönste tschechische Lokal Berlins – das „Café Slavia“– ein Restaurant ganz im Jugendstil mit guter böhmischer Küche, das bei Jana in der Nähe ist: „Aber mir ist es da zu intellektuell. Mein Stammlokal ist der „Badensche Hof“ in Schöneberg, eine Jazzkneipe, wo oft amerikanische Musiker spielen. Manchmal überlege ich mir, ob ich noch mal woanders neu anfangen sollte, aber dann denke ich, dass ich mit 46 schon zu alt dafür bin. Vielleicht habe ich einen Fehler gemacht, als ich Prag verließ …“ HELMUT HÖGE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen